Grenzfälle erzählt den Zweiten Weltkrieg in Basel

Seringue de neocid de l’entreprise Geigy

Was waren die Konturen der Periode 1933-1945 in Basel? Antworten und Überlegungen in Grenzfälle.

Klischees und vereinfachte Darstellungen auflösen. Das ist das Ziel einer Ausstellung, die – nach einem einführenden Kapitel über den Nationalsozialismus im Allgemeinen und seine Spuren in der Gegenwart, in dem die Mütze des Gauleiters Wagner1 gezeigt wird – mit einer Erinnerung beginnt: Im Jahr 1933 wohnten in Basel fast 20 000 deutsche Staatsangehörige. Die Verzweigungen der NSDAP sind somit logischerweise in der Schweizer Stadt präsent, mit einer lokalen Abteilung der Partei von bis zu 4 000 Mitgliedern, die sich im 1941 eingeweihten Deutschen Heim versammeln. Zahlreiche Objekte zeugen von dieser Vergangenheit, darunter eine Mitgliedskarte der Hitlerjugend, ein düsterer Bronzeadler oder Photographien von antisemitischen Graffitis von 1934, während ein Wimpel des Volksbundes von Ernst Leonhardt, dessen Hakenkreuz gut zu den Nationalfarben der Schweiz passt, daran erinnert, dass parallel dazu lokale extremistische Organisationen entstehen. Auf der anderen Seite werden kommunistische Gruppen gegründet. Da sie oft gewalttätig sind, wird ihr Kampf von den Autoritäten als eine Bedrohung der Neutralität und Demokratie eingestuft. Deren Position ist ambiva- lent: Erstere sind bis 1945 legal, während letztere ab 1940 verboten werden.

Das wirtschaftliche Leben seinerseits geht weiter, die Chemie-Industrie passt sich an die Rassengesetze des mächtigen Nachbarn an – der auch einer der größten Geschäftspartner ist – und die verschiedenen Messen erleben keinen wirklichen Abschwung (wie die Mustermesse, eine echte Stadt in der Stadt, von der hier ein Modell gezeigt wird), während die Bevölkerung zwischen Notstand und Normalität lebt, zwischen Angst vor einer deutschen Invasion (im Mai 1940 fliehen 25 000 Personen aus der Stadt) und Nationalstolz, der von einem Trikot der „Nati“2 symbolisiert wird, das 1942 von Rodolfo Kappenberger getragen wurde. Zahlreiche Objekte illustrieren den Alltag dieser Epoche, Gesellschafts- spiele von 1943, die Lebensmittelmarken thematisieren, welche zu dieser Zeit gelten, medizinische Notfallsets im Falle von Bombenalarm oder auch Kerzen und Streichhölzer, die von den Autoritäten an die Ärmsten verteilt wurden, während der Strom abgestellt wurde. In diesen unruhigen Zeiten verteidigen sich die Basler Juden – 1,7% seiner 170 000 Einwohner im Jahr 1933 –, die mit neuen Formen des Hasses konfrontiert sind, mit juristischen Mitteln: So ist ein Exemplar der Protokolle der Weisen von Zion3 mit der Bemerkung „Beschlagnahmt“ durchgestrichen. Sehr interessant ist außerdem das Kapitel, das den Empfang von Flüchtlingen thematisiert (fast 300 000 im Land bis ins Jahr 1945): Zwischen bewegenden Einzelschicksalen und großer Geschichte tun sich die Abgründe einer Epoche auf, in der die Grenzen mit Maschendrahtzäunen markiert wurden…


Im Historischen Museum / Barfüsserkirche (Basel), bis zum 28. März 2021
hmb.ch 
grenzfaelle.ch

Video mit Rundgang durch die Ausstellung unter grenzfaelle.ch

1 Administrativer und politischer Verantwortlicher eines Gaus, einer Gebietsunterteilung Nazideutschlands. Robert Wagner war der Leiter des Gaus Oberrhein.
2 Abkürzung für die Fußball-Nationalmannschaft
3 Antisemitisches Werk vom Ende des 19. Jahrhunderts, das die Verschwörung führender Juden zur Übernahme der Weltherrschaft beschreibt

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