Simon Steen-Andersen präsentiert Don Giovanni aux enfers
Die Musik-Video-Theater-Kreation, Don Giovanni aux enfers von Simon Steen-Andersen, hinterfragt, im Rahmen von Musica, die Idee der Oper selbst.
Wir irren durch die Untergeschosse der Oper von Straßburg. Die engen Gänge, deren Beton sich zu schälen scheint, führen in düstere Ecken mit ungewisser Funktion. Wie ein Teufel aus der Kiste erscheint Simon Steen-Andersen, der sich weder als Komponist noch als Regisseur sieht und der gleich zu Anfang zu seinem neuen Stück sagt, das er in Uraufführung zeigt: „Ich hacke das Repertorium und mache circuit bending1 mit der Oper“, gleichzeitig mit der Institution und der Musikgattung. Die Aufführung beginnt mit dem Ende des Don Giovanni von Mozart, als der große böse Herr von den Flammen verschlungen wird. Man folgt ihm „in diese lyrische Hölle, wo die toten und verdammten Figuren enden. In der Ferne sieht man den Holländer, aber auch die Bestrafung von Macbeth, Iago, Barnaba2 oder Don José. Ohne Polystophélès zu vergessen, den aus 19 bösartigen Kreaturen zusammengesetzten Dämonen.“ Aber werde alle diese Bilder nicht vom Gehirn des Barytons generiert, der Don Giovanni interpretiert, welcher sich den Kopf am Rande der Klappe anschlug, hinter der er verschwand? „In einem Albtraum ziehen die Figuren vorbei, die er interpretiert hat, fürchterliche Regisseure, tyrannische Chefs…“ Auf der Bühne und im gesamten Gebäude entfaltet sich so, dank des Videos, dieser Walzer des Zögerns zwischen diesen beiden Möglichkeiten, die Arten und Weisen sind, das Unterbewusstsein der Oper zu befragen.
Montage. Collage. Dekonstruktion / Rekonstruktion. Alle möglichen Fassungen. Verwandelt und durcheinandergebracht, springt die Musik, die manchmal wiedererkennbar ist, von einer Epoche zur anderen, von Oper zu Oper, von Rameau zu Boito, mit Ausflügen zu Berlioz. Eine absolut nicht vollständige Liste. Für Simon Steen-Andersen ist es möglich „mit einem bereits existierenden Material etwas ganz Neues zu schaffen. Ich spüre eine Energie in der Musik von Komponisten der Vergangenheit, die nicht befreit wurde, so als ob sie eingesperrt geblieben sei, gefesselt von den aufeinanderfolgenden Interpretationen“, gibt er von sich. Also twistet er sie oder nutzt sie umgekehrt: Ein tausend Mal gehörtes Liebeslied dient so für eine Folterszene in einer tonischen Dissonanz und einem Prozess der De-/Rekontextualisierung. Als Sprössling von Staged Night – wo er Bach, Chopin, Mozart oder auch Ravel updatete –, spiegelt diese Oper die Kunst eines Kreativen wider, der es liebt „die Dinge in alle Richtungen zu wenden, um zu sehen, wie sie reagieren“, mit einer spielerischen Herangehensweise. Aber diese „Schalkhaftigkeit ist nichtsdestotrotz sehr ernsthaft“, sagt der kleine Teufel der zeitgenössischen Musik abschließend.
In der Opéra (Straßburg) vom 16. bis 21. September
operanationaldurhin.eu – festivalmusica.fr
> TRIO von Simon Steen-Andersen wird zum Abschluss von Musica neben den Stücken von Sofia Goubaïdoulina und Michael Wertmüller präsentiert (01.10., Sportzentrum Pfaffenholz in Basel)
1 Die Stromkreise verändern, indem man sie kurzschließt, um sie zum Beispiel von ihrer ursprünglichen Funktion abzuwenden
2 Besonders düstere Figur in La Gioconda von Ponchielli