poetik der landschaft
Überdeckungen, Anhäufungen und Verpackungen: Das Musée Würth widmet Christo und Jeanne-Claude eine begeisternde Retrospektive.
Der 1935 geborene Reinhold Würth war dem Ehepaar, das Christo (1935-2020) und Jeanne-Claude (1935- 2009) bildeten in langer Freundschaft verbunden. Seine umfangreiche Sammlung beinhaltet zahlreiche Werke von jenen, die sein museales Flaggschiff in Künzelsau im Jahr 1994 verpackten. Die Retrospektive ist wie eine umgekehrte Chronologie aufgebaut. Modelle, vorbereitende Skizzen und Photographien zeigen ebenso das zeichnerische Talent von Christo, wie die realisierte Arbeit, da natürlich „nicht das Objekt das Kunstwerk ist, sondern der kreative Prozess“, wie es der Künstler unterstrich. So entfaltet sich ein Modus Operandi, der von der unermüdlichen Organisatorin Jeanne-Claude dirigiert wurde, von der Eigenfinanzierung bis hin zur technischen Lösung über die langwierigen Verhandlungen mit den Behörden. Sie waren nötig in Projekten, in denen Kolossales auf Leichtigkeit traf, wie bei der Verpackung des Reichstags im Jahr 1995 – von dem hier ein ergreifendes Modell gezeigt wird – oder jener der Pont-Neuf, zehn Jahre zuvor, mit einem goldenen Tuch von 40 876 Quadratmetern, ohne die Floating Piers zu vergessen, die es den Besuchern 2016 erlaubten auf dem Wasser des Lago d’Iseo zu spazieren.
Man entdeckt die Spuren vergänglicher Installationen, die einen neuen Bezug zum natürlichen oder urbanen Raum herstellen. Nah an der Land Art – von der sich das Duo nichtsdestotrotz immer distanzierte – erneuern diese Umsetzungen die Wahrnehmung der Realität durch den Besucher. Man denke an The Gates (2005), einen Weg von 37 Kilometern aus 7500 Toren in Central Park, die an Torii-Türen der shintoistischen Heiligtümer erinnern oder Surrounded Islands (1983), zu Florida gehörende Inseln, die von einem rosa Gürtel umrundet wurden. Verhüllen um besser zu enthüllen, der Umwelt einen Rhythmus verleihen (Running Fence, eine Mauer aus weißem Nylon im Jahr 1976) oder sie verschließen (Valley Curtain, 1972): Von den vorübergehend umgewandelten Landschaften und Monumenten geht eine neue Poesie aus, deren Quelle man in den frühen Werken von Christo findet, der Ende der 50er Jahre aus Bulgarien nach Paris kommt. Er beginnt mit bizarren Reliefgemälden (Cratères, die in ihrer Entstehung an Pollock erinnern und in ihrem Aspekt an Dubuffet), findet schnell seinen Weg, indem er Gemälde, Musikinstrumente oder auch lebende Modelle in einer Inszenierung mit Bondage-Anleihen in einer erstaunlichen Mise en abyme verpackt, in der der normalerweise versteckte Raum zum Motiv wird. Er häuft auch 240 Ölfässer auf, die die Rue Visconti (Paris) im Jahr 1962 versperren um den Eisernen Vorhang anzuprangern, ein Werk, das in einen Dialog mit The Wall tritt, in dem 13 000 weitere eine Mauer / ein buntes Mosaik im Gasometer von Oberhausen (1999) bilden, was die künstlerische Kohärenz illustriert, die ihn im Laufe der Jahre begleitete.
Im Musée Würth (Erstein), bis zum 20. Oktober 2021
musee-wurth.fr
Das Centre Pompidou (Paris) widmet dem Paar eine Ausstellung mit dem Titel Paris ! bis zum 19. Oktober centrepompidou.fr