Medea’s Children, der Mythos von Medea nach Milo Rau
Paysage #4, der Höhepunkt im Maillon, ist Milo Rau gewidmet. Gespräch rund um Medea’s Children mit dem ikonischen Regisseur aus der Schweiz.
Ein Jahr nach Antigone in the Amazon, das den Kampf der Bewegung der Landlosen in Brasilien mit der Figur des Sophokles in Verbindung brachte, setzen sie ihren Zyklus rund um die Erkundung der griechischen Tragödien mit dem Mythos von Medea fort. Wie hat sich alles entwickelt?
Zunächst war es eine Trilogie. Ich habe mit Orest in Mossul, dann Das Neue Evangelium und Antigone in the Amazon begonnen. Das erste Stück war das ideale Terrain, um über Demokratie zu sprechen. In den beiden anderen geht es um meine eigene Interpretation der Religion und des Neuen Testamentes, sowie Akte des Widerstandes, um eben zu versuchen einer Tragödie zu entkommen. Für mich fehlte eine philosophischere und persönlichere Überlegung zu diesem Thema. Aus diesem Grund beginnt Medea’s Children in Form einer Debatte zwischen den verschiedenen Protagonisten. Ich wollte außerdem mit Kindern arbeiten und ihnen die Stimme verleihen, die ihnen in den antiken Erzählungen immer genommen wird. Auf ziemlich natürliche Weise habe ich diese Geschichte mit der Lhermitte-Affäre, einer belgischen Lokalnachricht in Verbindung gebracht. Im Jahr 2007 schneidet eine Mutter ihren fünf Kindern die Kehle durch, bevor sie Selbstmord begeht. Dieser misslingt, aber im Jahr 2023, als wir uns schon mit ihrem Fall beschäftigen, erfahren wir, dass sie durch Euthanasie Selbstmord begangen hat. Da ich ohne Unterlass eine Spiegelung zwischen Mythos und Realität herstelle, hat sich alles miteinander verknüpft.
Wie geht man an ein so düsteres Thema mit jungen Schauspielern heran, denn sie bringen sechs Kinder zwischen 8 und 14 Jahren (und einen Erwachsenen) auf die Bühne?
Es ist eine lange Arbeit des Schreibens und der Kreation, an dem sie teilnehmen. Zum Beispiel wird das Werk von Fragen und Antworten, von Besprechungen und Kommentaren unterbrochen. Da ist ihr Wille. Sie spielen gleichzeitig die Kinder, die getötet wurden und die Mitglieder der Familie Lhermitte, die Figuren von Seneca und ihre eigene Rolle. Die Kostüme helfen dabei die verschiedenen Niveaus zu unterscheiden. In der Diskussion mit ihnen kam schnell die Idee auf die antiken Figuren mit Tierhäuten zu spielen. Als ich sie gebeten habe ein Alltags-Kostüm zu tragen, hat einer von ihnen ein Pickachu-T-Shirt gewählt. Man könnte glauben, dass es schwierig sei, Pickachu mit Medea in Verbindung zu bringen und dennoch…
Sie haben die Wahl getroffen die Mordszenen frontal und im Detail darzustellen. Warum?
Es ist ein karthatischer Moment, sehr grausam, sehr griechisch. Die Gewalt, ob sie aus dem privaten oder politischen Raum kommt, hat mich immer verfolgt. Ich will zeigen, dass der gefährlichste Ort für Kinder ihr eigenes Zuhause ist. Es ist der Ort an dem die extremste Gewalt der Gesellschaft stattfindet. Obwohl es der schrecklichste Moment ist, ist es auch, paradoxerweise, jener, den sie am liebsten spielen.
Im Maillon (Straßburg), in Niederländisch mit französischen und deutschen Übertiteln, am Samstag den 30. November und Sonntag den 1. Dezember
> Der Höhepunkt entfaltet sich von 21. November bis 1. Dezember mit Antigone in the Amazon (21.-23.11., in Portugiesisch und Niederländisch mit französischen und deutschen Übertiteln siehe Poly Nr. 260 oder auf poly.fr)