Maroussia Diaz Verbèke und 23 Fragments de ces derniers jours
Maroussia Diaz Verbèke liefert ein zerstückeltes Portrait Brasiliens mit 23 Fragments de ces derniers jours.
Zwischen dem Beginn der Arbeit mit dem Kollektiv Instrumento de Ver im Jahr 2018 und der Uraufführung des Stücks Ende 2022 hat Brasilien unter der Präsidentschaft von Bolsonaro und der Pandemie gelitten…
Oh ja. Ursprünglich hatte mich dieses Frauenkollektiv aus Brasilia zu einem Festival und der Durchführung eines Forschungslabors eingeladen. Wir haben zusammengepasst und sie haben mich darum gebeten ein Stück für sie zu inszenieren und Jair Bolsonaro wurde gewählt. Vier Residenzen wurden im Jahr 2019 durchgeführt und ich jonglierte zwischen meiner Anwesenheit in Marokko für die Kreation von FIQ ! und Brasilien, aber sehr schnell wurde dort alles zerstört, vor allem der Kultursektor. Ihr Kollektiv ist von 5 auf 3 Mitglieder geschrumpft, die Subventionen wurden gekappt, ohne dass wir unsere Arbeit hätten beenden können. Dann hat das Coronavirus alles in der Schwebe bleiben lassen. Der einzige Weg das Projekt abzuschließen war jener, es mit meiner Truppe zu tragen. Ich habe drei männliche Interpreten gesucht, die zu dieser wahnsinnigen Kultur des Karnevals passen, dessen Reichtum an Tänzen gleichzeitig alle Generationen umfasst und in den Alltag integriert ist.
Welche politischen Spuren resultieren daraus?
Die Anspielungen sind vielfältig. Ich arbeite immer mit Fragment- Formen, die hier einen starken Widerhall haben, mit dem Verlust der Orientierungspunkte und der orchestrierten Zerstörung durch die Staatsgewalt. Die Frage nach der Schwierigkeit – die das Thema des Zirkus ist – entspricht jener des Landes. Das Kollektiv wollte ausgehend von Objekten arbeiten, was mich etwas skeptisch machte, aber schlussendlich haben wir uns symbolischer und konkreter Objekte angenommen, wie der brasilianischen Verfassung, die jeder Haushalt besitzt! Das Glas ist auch eines der starken Materialien des Stücks, in vielerlei Formen. Es ist bedrohlich, kann kaputt gehen, erhöht Risiken wie die Zerbrechlichkeit. Wir nutzen es in Scherben, über die eine Fakir läuft, in Flaschenform, als glattes Seil aus Flaschen und als Trapez-Stange.
Ganz im Gegensatz zum Titel sind es nicht 23 sondern 36 Fragmente, die Sie präsentieren…
Beim Schreiben entspricht jedes einem genauen Datum aus persönlichen und kollektiven Ereignissen: Die Wahlen, die Waldbrände im Amazonaswald zur Landgewinnung… Aus den 23 Fragmenten sind 36 geworden, das ist das Exzessive am Zirkus! (lacht) Diese Kunst ist jene der Fülle, um zu versuchen alles zu sagen und zu zeigen, mit einer Lust auf Versammlung. Man trifft auf Frevo, der mit dem Karneval in Recife in Verbindung steht: Ein musikalischer und tänzerischer Reichtum mit unglaublichen bunten Regenschirmen – die dazu dienten Waffen zu verbergen als die Capoeira verboten wurde. Aber auch Passinho, nah am Hip-Hop oder Forró, ein Paartanz. Sie sind sehr physisch und spielen sich in den Beinen ab. Ich wollte sie in den Dienst des Zirkus stellen und nicht das Gegenteil. Ihre Vielfalt an spektakulären oder symbolischen Wendungen nutzen.
Welche ästhetische Wahl haben Sie getroffen?
Brasilien ist ein Land des Lichts, das von einem weißen Tanzteppich dargestellt wird. Die Farben der Flagge (blau, grün und gelb) entsprechen der Omnipräsenz der Sonne, der Vegetation und des Wassers. Was die Musik angeht, haben mein Bruder und ein brasilianischer Musiker Perlen der Underground- Szene aufgespürt, die sehr wenig editiert wird, was den brasilianischen Post-Punk und New Wave entdecken lässt und etwas unpoliertes zum Bild eines Landes hinzufügt, das nur fälschlicherweise verführerisch ist, da es immer überreizt ist.
In L’Espace (Besançon) vom 14. bis 16. Februar, dann im Maillon (Straßburg) vom 21. bis 24. Februar
les2scenes.fr – maillon.eu