Marcos Morau erweckt La Belle au bois dormant zum Leben

Marcos Mauro : La Belle au bois dormant © Jean-Louis Fernandez

Der katalanische Choreograph Marcos Morau erweckt La Belle au bois dormant* für das Ballet de l’Opéra national de Lyon.

Als Spezialist für realistische Bühnenbilder, die den Dystopien dienen, welche seine Kreationen bevölkern, nimmt Marcos Morau einen von sämtlichen Werken geleerten Museumsraum ein, der doch von Leben gefüllt ist. Sein Dornröschen, das hundert Jahre nach unserer Zeit erwacht, hat von der Prinzessin nur das Kostüm. Kein charmanter Prinz weit und breit, keine elterliche Anordnung zur Mutterschaft. Die neue Morgenröte ihrer Existenz ist nichtsdestotrotz nicht ganz erholsam, denn der Choreograph platziert sie – es sei denn er bricht sie buchstäblich – inmitten von zwölf anderen Tänzern des Ballet de l’Opéra national de Lyon. So sind Männer und Frauen mit denselben Krinolinröcken bekleidet, bedeckt mit weißem Tüll, ideal um die verschiedenen chamäleonartigen Farbtöne einer Lichtkreation zu empfangen, die sich von einer sich bewegenden Decke aus über die Bühne ergießt. Der Seitenhieb auf The Handmaid’s Tale mit dem Scharlachrot wird durch Kopfbedeckungen verstärkt, die an jene der Serie erinnern. Die Beleuchtung wackelt und die Farbtöne vibrieren, wie die Körper, die von einer verrückten Intensität an Haltungen und Blicken erfasst werden, zwischen Furcht und Neugierde hin und her schwanken.

Marcos Mauro : La Belle au bois dormant © Jean-Louis Fernandez
Marcos Mauro : La Belle au bois dormant © Jean-Louis Fernandez

Die Furchtlosigkeit der Gesichter steht mit den brüsken Bewegungen von in Spitze eingeschnürten Wesen in Kontrast, deren Zustands-und Richtungswechsel, voller Brüche und Würfe des Kopfes in den Nacken, die menschliche Anatomie herausfordern. Dieser Vogelschwarm mit schiefen Köpfen reiht die kollektiven Bewegungen des Pendels und des Geistesblitzes aneinander, die durch ihre Ansteckung und Imitation beunruhigend werden. Wie besessen liefert die Steifheit der Interpreten dem Betrachter eine erstaunliche und faszinierende Exartikulation, die von Beinen verstärkt wird, die unter den Volumen der Kostüme lange unsichtbar bleiben. Das Erscheinungsbild würde sie fast zu Automaten werden lassen – oder zu roboterartigen Hampelmännern, die von den Strahlen eines leuchtenden Elektro-Kastens manipuliert werden – wenn Marcos Mauro nicht eine teuflische Freude daran hätte, nach und nach Zeichen der Menschlichkeit in diesen Albtraum gleiten zu lassen, in dem die umgekehrten Beugungen des Rückens neben ebenso vielen Doppelgängern der der Schönen stehen. In das Kontratempo der Musik von Tschaikowski fügt der Chilene Juan Cristóbal Saavedra seine Elektro-Landschaften voller Synthesizer ein, welche eine Decke begleitet, die sich senkt, eine bedrohliche Klinge, die zuschnappt wie ein Kaninchenstall, über jedem der es allein wagen würde die Norm herauszufordern.

Die Ankunft eines Babys, das jeder sich weiterreicht wie einen Schatz, den man gemeinsam behüten müsste, kehrt dem Dogma der Kleinfamilie den Rücken. Das Baby wächst in einem Wahnsinnstempo, immer umgeben von seinen Vormündern, die anonym, aber durch ihre Vielfalt stark sind, während sie den Mut finden, den Dekor und die Kostüme zu zerbröckeln, so dass das Skelett einer Welt und ihrer Illusionen zu Tage gebracht wird. Der Tanz wird freier, hüpfender, voller Kehrtwendungen und Drehungen. In der Zukunft, so Morau, resultiert die Freiheit definitiv aus der Stärke der Gruppe.

Marcos Mauro : La Belle au bois dormant

In der Opéra de Reims (Gemeinschaftsproduktion mit Le Manège) vom 14. bis 16. April, ab 12 Jahren

operadereims.commanege-reims.eu

*Dornröschen

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