Marco da Silva Ferreira bringt C A R C A S S auf die Bühne
Mit seiner neuesten Kreation, C A R C A S S, präsentiert Marco da Silva Ferreira ein politisches Stück, das das Erbe der Folklore rehabilitiert, gekreuzt mit Streetdance.
Welche Spuren hinterlässt die kollektive Geschichte in den Körpern? Wie kann man das Gedächtnis erneuern, ohne die düsteren Zuckungen der Geschichte zu vergessen. Der Portugiese Marco da Silva Ferreira nimmt sich dieser Fragen an, in einer Suche, die eine Beziehung zwischen Gemeinschaft und Identität herstellt. C A R C A S S vereint zehn Tänzer mit gemischter Herkunft und zwei Instrumentalisten, die vor dem Hintergrund von Schlagzeug und Elektromusik, den standardisierten Folkloretanz seiner Schale entledigen, der vom Autoritarismus der Diktatur und ihrem unveränderlichen Paternalismus geprägt wurde. Sie verbinden sie mit den kulturellen Bewegungen, die in den Gruppen der Minderheiten (LGBTQIA+) oder den ehemaligen Kolonien aufgetreten sind. Von einem springenden Beinspiel mitgerissen, das ebenso Anleihen bei der Tradition wie beim urbanen Tanz macht, entsteht ein kontinuierlicher Fluss an Bewegungen, in denen Housedance, Jumpstyle, große klassische Beinschläge, roboterartige Bewegungen oder auch populäre Rundtänze aufeinanderprallen. Der Duckwalk (gehen mit leicht eingeschlagenen Beinen) und die Dips (ein Rückensturz auf den Boden, mit einem abgeknickten Bein, das andere in die Luft gestreckt), was an die Balls des Voguings erinnert, da wo die rhythmische Leidenschaft des angolanischen Kuduro sich mit der fieberhaften und ungezügelten Stimmung der Clubs mischt. Wie ein roter Faden, bieten die überkreuzten Schritten, von einem Fuß auf den anderen hüpfend, eine anscheinend totale Freiheit für den Oberkörper der Interpreten. Was an einen einfachen Melting-Pot erinnern könnte, anhand der Prüfung der Ausdauer und der Erschöpfung, die sie mit sich zieht, nimmt die Form einer kollektiven Transzendenz an, mit kinästhetischem Sinn, Vertrauen in das was durch die Wahrnehmung geschieht, die Verbindung zwischen familiären Gesten.
Der Choreograph rehabilitiert auf seine Weise Tänze, die lange links liegen gelassen wurden, da sie ihrer Substanz beraubt und vom Salazarismus karikiert worden waren. Sie mit den identitären Bewegungen zu verbinden und mit den Forderungen nach mehr Sichtbarkeit und Egalitarismus engagiert eine politische Reflexion zum kulturellen Erbe, zur Rassenverschmelzung, zu dem was fortgesetzt und ersetzt wird. Die Epochen prallen mit den revolutionären Gesängen der Grupo de Acção Cultural aufeinander, die vom Poeten und militanten Kommunisten José Mário Branco gegründet wurde. Seine Cantiga sem maneiras, deren Verse auf den Hintergrund der Bühne projiziert werden, denunziert mit dem gleichen Elan Faschismus und Ausbeutung der Arbeiter mit der Stimme einer Frau. Die Tänzer haben ihre gelöcherten akademischen Tanzanzüge mit bunten Stoffen bedeckt und ziehen das Oberteil aus, das sie wie Fahnen im Wind schwenken, zwischen ihren Armen, mit von Zuckungen bewegten Körpern. Sie spielen mit diesem Zwang, wie mit den Effekten der Diktatur, mit der Hand auf dem Gesicht und einem Finger im Mund, um der Gegenwart einen stillen Schrei zu schenken, wie in der Vergangenheit. Derselbe Schweiß und dasselbe Bedürfnis die Grenzen zu überschreiten (des Geschlechts, der Identität, der übermäßigen Scham) in einem Marsch der Freiheit, der von einer fieberhaften Sinnlichkeit beflügelt wird.
Im Maillon (Straßburg) am Mittwoch den 5. und 6. April (präsentiert mit Pôle Sud)
maillon.eu – pole-sud.fr