Gabriella Giandelli zeigt ihre inneren Welten im Cartoonmuseum
Mit Kaleidoscope öffnet das Cartoonmuseum seine Türen für die verträumten und verlorenen inneren Welten von Gabriella Giandelli.
Fenster sind allgegenwärtig im Werk von Gabriella Giandelli. Geometrische Quadrate, die sich auf den Buildings
New Yorks aneinanderreihen, große Fensterfronten, welche einen Blick auf die Balkone von Plattenbauten im Vorort von Mailand bieten oder sogar Badezimmerspiegel mit reflektierenden Ovalen… Der feine und zarte Zeichenstrich ihrer Buntstifte öffnet in der Bildtafel eine Art heimliche Passage in die Innerlichkeit der komplexen und einsamen Figuren, die ihre Erzählungen zwischen Traum und Realität bevölkern. Mit 59 Jahren wechselt die italienische Künstlerin, eine enge Freundin von Lorenzo Mattotti, zwischen Grafischem Roman, Pressezeichnung für La Repubblica oder The New Yorker, Kinderbüchern, Stoffentwürfen für das legendäre Haus Memphis oder Covern für die Platten von Dominique A – einem weiteren Komplizen. Im Jahr 1994 wurde sie mit der Veröffentlichung ihres ersten Buches Silent Blanket (dt. Fassung 2000) bekannt, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Ihre Handschrift erkennt man sofort wieder: Eine visuelle Sprache voller Zartheit, fast naiv, die mit einer düstereren Erzählung kontrastiert, die manchmal gruselig ist, durchsetzt von einer fast magischen Dimension. Seit der seltsamen und bezaubernden albtraumhaften Weihnachtserzählung Interiorae (2015) – ihrem Meisterwerk – bis zum metaphysischen Ausreißer in Form einer Überlegung zur Ausdehnung der Zeit in Lontano (2019), hat die Zeichnerin ohne Unterlass die menschliche Psyche und die unausweichlichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Wesen erkundet.
Für die Retrospektive, die ihr das Cartoonmuseum widmet, hat Giandelli speziell ein Werk von unheimlicher Behutsamkeit und Poesie geschaffen. Zwischen zarter phantasmagorischer Lyrik und besorgniserregender Dystopie stellt sich Mirabile Bestiarium eine Welt vor, in der die Ära der Menschen zu Ende wäre. Kein einziges Geräusch mehr in den Städten. Die Appartements, Empfangsbereiche der Gebäude, Treppenhäuser sind still und friedlich, erstaunlich aufgeräumt. Hier haben die Bewohner das Licht angelassen, hier in einer Vase hatte ein Blumenstrauß nicht einmal die Zeit zum Verwelken. Und überall, von Tokio bis Manhattan, haben stolze, bunte Riesen-Tiere sich einquartiert. Auf einem Dach durchdringt ein wunderschöner Dompfaff mit rotem Bauch und bläulichen Flügeln, hoch wie ein siebenstöckiges Gebäude, den Betrachter mit seinem bedrohlichen Blick. Ein riesiger Waschbär, ein wahrer Prachtkerl, thront in einem Wohnzimmer. Ein Kleinasiatischer Feuersalamander von vier Metern Länge hat das Sofa einer Luxuswohnung eingenommen. Wie so oft bei der Künstlerin steht die gelassene Schönheit der schillernden Seiten mit der Schwärze und Kürze eines Textes in Kontrast, in dem sie mit der Gleichgültigkeit eines Insektenforschers beschreibt, wie die sanften Riesen-Tiere die Menschen aufgefressen haben… vielleicht rächt sich das sechste Artensterben durch ein siebtes?
Im Cartoonmuseum (Basel) bis 30. Oktober
cartoonmuseum.ch
> Sonntagsführungen am 10. & 24.07., 14.08., 11.09., 09.10., 23.10.
(14 Uhr)
>Ateliers, um zu lernen wie man gezeichneten Kreaturen und Objekten Dimension und Realismus verleiht. Ab 6 Jahren (21.08. & 04.09., 14-16 Uhr)