Kunsthalle Baden-Baden: Auditions for an Unwritten Opera von Mutlu Çerkez
Auditions for an Unwritten Opera lässt Werke von Mutlu Çerkez mit jenen anderer Künstler in einen Dialog treten, ob sie die Radikalität der zeitgenössischen Praxis oder bekanntere historische Positionen widerspiegeln.
Der große Konzeptkünstler Mutlu Çerkez (1964-2005) hatte ein System geschaffen, das eine mögliche Zukunft in potentielle Wiederholungen präexistierender Kunstwerke verwandelte. In den Titel jedes Werkes brachte er so ein Datum ein, das in einer Zukunft lag, in der er davon ausgehen konnte, noch am Leben zu sein, wobei er sich dazu verpflichtete, es an diesem Tag, auf die ein oder andere Weise, neu zu kreieren, ihm eine neue Form zu geben und es von seiner vorübergehenden Materialität zu entfernen: „Meine Arbeit wird sich nicht weiterentwickeln, oder zumindest wird der Gradient seiner Entwicklung flach sein“, erklärte er. „Ich habe mir vorgestellt, dass es am Ende meines Lebens zwei Serien von Werken gibt, die Originale und die Kopien. Ich denke, die Interessantesten werden die fehlenden Werke sein, die nach meinem Tod datiert sind“, hob er auch hervor. Der Titel dieser Ausstellung – ein zu reduzierender Begriff, dem jener des Mentalen Raums vorzuziehen ist – bezieht sich auf ein Projekt, das ihn von 1992 bis 2000 beschäftigte, von dem Elemente wie das große A design for the overture curtain of an Unwritten Opera, Untitled: 15 January 2028 (1999) erhalten sind.
In den Sälen der Kunsthalle Baden-Baden geht der australisch-türkischzypriotische Künstler, der als Brite geboren wurde, mit anderen einen Dialog ein, wobei das Auf und Ab des Schicksals eines Werkes und seiner Interaktionen mit zukünftigen Generationen hinterfragt werden. Aber ebenso die Durchlässigkeit zwischen Existenz und Ausstellung, die Erste spiegelt sich in der Zweiten wider. Wir entdecken zum Beispiel zwei Date Paintings von 1980 signiert On Kawara, die in einiger Entfernung zu Untitled: 17 September 2065 (1990) hängen, einer eleganten Linie aus Kalendern – einer pro Jahr – von 1964 bis 2075. Während einige historische Werke wie die poetischen und politischen Typewritings, die Ruth Wolf- Rehfeldt mit ihrer Schreibmaschine realisierte (das geniale Diptychon From dust to dust, 1975) bekannt sind, verblüffen zeitgenössische Kreationen durch ihre Radikalität. So hat Juliet Carpenter Meantime (Duration is to Consciousness as Light is to the Eye) geschaffen, einen paradoxalen Raum, der an ein dunkles, antikes Grab erinnert, 100% mit Teppichboden bedeckt, dessen Decke als Projektionsfläche für The Sun is Not To Be Believed (realisiert mit Róisín Berg, 2023), dient, eine hypnotisierende Meditation, die von einem Algorithmus geleitet wird, der seine Geschwindigkeit variiert und bizarre Zeitlücken kreiert. An anderer Stelle wird man von der Version 4 der Installation ni4ni (2022) von Serkan Özkaya geblendet: In einem Saal betrachtet ein riesiges Auge den Besucher, dessen Silhouette vom kolossalen Augapfel zurückgeworfen wird. Dabei wird man ebenso an Lacan erinnert – „Bevor wir sehen, werden wir erblickt, wir sind betrachtete Wesen im Spektakel der Welt, von einem Blick, der uns nicht gezeigt wird“ – wie an das biblische Entsetzen vor diesem Auge im Grab, wie es Victor Hugo formulierte, das Kain beobachtet.
In der Staatlichen Kunsthalle (Baden-Baden) bis zum 8. Oktober
kunsthalle-baden-baden.de
> Finissage mit dem Wochenende Blue Skies (06. & 07.10.) mit Performances von Pedro Gómez-Egaña, Léuli Eshrāghi, Delia Gonzalez, einer Besichtigung mit dem Kurator Misal Adnan Yildiz , etc.
> Parallel dazu entdeckt man SYNCH05. Recording_1989, eine Installation von Marysia Lewandowska, die sich mit der Geschichte der Kunsthalle anhand er Ausstellung von Donald Judd, im Jahr 1989, beschäftigt