Katharina Grosse entfaltet ihre Farbpalette im Saarlandmuseum
Mit Wolke in Form eines Schwertes empfängt das Saarlandmuseum die neuesten Experimente von Katharina Grosse.
Bei Katharina Grosse nimmt die Farbe den Raum ein, ergreift von ihm Besitz, lässt ihn zerspringen in einer flammenden choreographischen Eigendynamik. Mit ihrer Farbpistole bewaffnet, ist die deutsche Künstlerin, die 1961 in Freiburg im Breisgau geboren wurde, bekannt dafür, ihre ganze Umgebung (Boden, Wand, Schlafzimmer, einen ganzen Schuppen, einen Strand mit weißem Sand oder Randstreifen der Eisenbahngleise) mit ihren grellen und schillernden Farbtönen zu bedecken. Gelb, Blau, Grün, Rot, Orange oder Violett brechen aus dem begrenzten Rahmen des Gemäldes heraus, um die traditionellen Grenzen des Untergrunds zu zerstören und sich alternative Realitäten auszudenken, weniger konventionell, weniger steif, weniger kleinkariert. „Meine Gemälde sind Prototypen der Phantasie“, sagte sie 2020 bei ihrer Ereignis-Ausstellung im Chi K11 Art Museum in Shanghai. Der schöpferische Akt bedeutet, laut dieser Leserin von Leibniz, die verschiedenen Dimensionen der Existenz auseinanderzufalten, um ihnen Leben einzuhauchen. Die Kunst ist in erster Linie performativ. Hier gibt es weder Mimesis noch eine vage Interpretation der Natur, die Werke der Künstlerin sind dazu da, eine neue Materialität hervor und unergründete Möglichkeiten ans Licht zu bringen. Wie im Espace Louis Vuitton Venezia wo ihr hypnotisierendes Apollo Apollo – ein riesiger Stoff aus schillerndem Metall, der die Wände bedeckt und sich kaskadenartig über den Boden ausbreitet –, zum offiziellen Programm der diesjährigen Biennale gehörte, wobei es ebenso an die Faltenwürfe der Renaissance erinnerte, als auch an den flüssigen und wechselhaften Charakter der Realität.
Mit Wolke in Form eines Schwertes vereint das Saarlandmuseum neun Gemälde von 2020 von jener, die zwischen Berlin und Neuseeland lebt. Installations-Bilder mit skulpturaler Anordnung, aus denen Äste, Zweige, Stücke von Treibholz oder dicke bunte Stoffe aus der ebenen Oberfläche ausbrechen, sie durchstechen oder zerreißen, wie die zerfetzten Monochromen von Lucio Fontana. Innen und außen koexistieren, durchdringen sich, durchkreuzen unsere Sehgewohnheiten. Es ist so als würde das Gemälde aus sich selbst herauskommen, um mit dem Betrachter in Kontakt zu treten und ihn in seinen Bann zu ziehen. Die Anziehungskraft ist unwiderstehlich: Man muss nähertreten, um es herumgehen, verschiedene Blickwinkel auf dieses unwahrscheinliche Objekt ausprobieren, dessen zahlreiche Schichten und verschachtelte Materialien verschmelzen, bis sie in die intensive Farbpalette überfließen, die sie vereint. Ohne Titel: Die großformatigen Kompositionen, die hier ausgestellt werden, tragen den Stempel der gleichen Unbestimmtheit, lassen der Phantasie freien Lauf, wie Fenster die zur Unendlichkeit der anderen möglichen Welten hin geöffnet sind.
Im Saarlandmuseum / Moderne Galerie (Saarbrücken) bis 4. September
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