Jean-Michel Landon skizziert La Vie des blocs mit seiner Kamera
Für seine erste große Ausstellung berichtet Jean-Michel Landon, alias Linstable, mit Schwarz-Weiß-Fotografien von La Vie des blocs.
Man kann um die Vierzig sein, als Sozialarbeiter gearbeitet haben und als Autodidakt plötzlich den großen Durchbruch haben. Da bekanntlich der Prophet im eigenen Land nichts gilt, stellt er die Serien, die er bei seinen Streifzügen durch die Hochhaussiedlungen seiner Stadt Créteil, einem Vorort von Paris, realisiert hat, in Mannheim aus. Weniger überladen als ein JR versucht Linstable – „Der Rastlose“, Pseudonym, das er von einer alten Hip-Hop-Crew geerbt hat – nicht Eindruck zu schinden, seine Bilder funktionieren über Sprünge und Echos, aufeinanderfolgende Schichten, in denen die kindliche Freude an den Spielen inmitten eines Waldes aus Wohnblöcken, die ihre Silhouetten auf den Beton werfen, sich mit Jugendlichen abwechseln, die abhängen, Schalkhaftigkeit der Augen, die sich in komplizenhaften und fröhlichen Blicken einer ethnisch gemischten Jugend widerspiegelt und einer poetischen Neugierde auf die Flechtwerke der architektonischen Zeichen der großen Ensembles, die oft brutalistisch sind. Der Neo-Humanismus, der hiervon ausgeht, leitet sich von langen wiederholten Streifzügen, bei Tag und bei Nacht, mit der Kamera in der Hand ab: Zu Füßen der Wohnblöcke verbringt man die Tage unter Freunden, die Bürgersteige verwandeln sich in einen Aqua-boulevard mit randvollen Planschbecken, mitten in der Sonne, Wasserpfeifen und Klappstühlen (dieselben Modelle findet man hier wieder, sie ermöglich es den Besuchern die Werke zu betrachten), da die Stadtmöblierung von den kleinen Brüdern verfremdet wird um sie zum Spielgerät für Kinder ohne Grünflächen zu verwandeln.
Die Nächte gehen in Rauch auf, die Joints ziehen die Zeit in die Länge und schieben den Moment des Schlafs, der einsamen Angst, hinaus. Linstable hat Freude an seinen Spaziergängen „im Schatten der Türme, da wo die Sonne nicht mehr die vereisten Herzen erwärmt“, bei denen er aus der Froschperspektive die Schicksale auf der Wendeltreppe verewigt, die es zu erfinden und zu überwinden gilt. Er mag die Spiegelungen der Vitrinen der heruntergekommenen Gebäude, die ein Kind zeigen, das einen Blick hinauswagt, genauso wie die Umgebung des Hors-Champ. Aber auch jene der Wasserpfützen, die die Perspektiven umkehren, um die Figuren in den wolkigen Himmel zu heben, so dass sie kühn über die Türme springen. Gruppen von Freunden, Geschwister vor den Fenstern der Familie, seine Photographien sind immer voller Leben. Seine Portraits in Nahaufnahme, mit Blicken, die zwischen Zerbrechlichkeit und Herausforderung hin und her schweifen, wie dieser kleine Touareg du bitume mit einer Kapuze, die er bis zu den Augenbrauen gezogen hat und seinem Reißverschluss auf der Nase. Voller Nostalgie für die Zeit, die vorbeifliegt und eine Epoche die zu Ende geht, hält er eine Kunst des Zusammenlebens fest, mit Solidarität und Kameradschaft, trotz der Härte der Umgebung, bis zum Abriss der Cité des Petits-Prés-Sablière, die unter dem Sturm der Bulldozer in sich zusammenfällt. Alles ist da, anhand von Bruchstücken, aber ohne die üblichen Klischees, dank einer Nahaufnahme, wie in „einer Nokturngasse“, die weniger gefährlich ist als jene in Harry Potter. Der Stoff und seine Spuren in den Katz-und Mausspielen mit der Polizei, Geldscheine, die wie Streifen auf Armen zur Schau gestellt werden. Pitbulls und elektronische Fußfesseln, die wie Trophäen wirken. In dieser sehr maskulinen Welt, in der der öffentliche Raum gestürmt, besetzt wird, erscheinen die Frauen nur flüchtig. Das Draußen macht oft dem Drinnen Platz (Eingangshallen, Balkone, Autos), so als ob man sich auch hier in Acht nehmen müsse.
Im ZEPHYR, Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn-Museen (Mannheim) bis zum 30. Juni 2024
rem-mannheim.de