In den Zeiten von Aids, vier Jahrzehnte eingeschränkter Liebe im MAMCS
In den Zeiten von Aids vereint Kunstwerke, Erzählungen und Beziehungen von gestern und heute, um die Aufmerksamkeit des Besuchers zu gewinnen und „dem Chaos Sinn und Freude zu verleihen“.
Dieses Zitat von David Wojnarowicz, Performancekünstler und amerikanischer homosexueller Aktivist, der 1992 an Aids verstorben ist, gibt den Ton einer Mammut- Ausstellung an, die an die Entdeckung der Krankheit vor vierzig Jahren erinnert. Ihr gelingt die dreifache Meisterleistung sich ebenso an mehrere Generationen zu richten (jene die Freunde verloren haben, wie jene die später geboren wurden), die Popkultur dieser Epoche zu umfassen, die allgemeine Schockstarre und den herrschenden Rassismus, wobei sie engagierten Vereinen und Künstlern (Plastiker, Autoren, Choreographen, etc.) eine Stimme verleiht. Die Ausstellungskonzeption voller Überraschungen trägt ihren Teil dazu bei: In einem Wohnzimmer im Retrolook mit Sofa und Fernseher, der es erlaubt in die Dokumentarfilme der damaligen Zeit einzutauchen – die Gewalt der Worte, die Ungenauigkeit der Medien und die Animosität der Politik –, ein Schrank mit Schiebetür, der einen versteckten Zugang zu einem Hinterzimmer mit Videoclips und Photos von Robert Mapplethorpe und von Wim Delvoye öffnet. Hier eine nachgebaute Tanzfläche mit Schwarzlicht, etwas weiter sind die Werke direkt an die Wand angeschlagen, im XXL-Format, so dass sie sie vollständig bedecken, wie Keith Haring oder die ikonische Lithographie SILENCE = DEATH von Avram Finkelstein (1987), weiße Buchstaben auf schwarzem Grund unter einem umgekehrten Dreieck in rosa, dem Symbol, das die Nazis benutzten, um Homosexuelle in den Lagern zu kennzeichnen. Es gibt viel zu sagen und zu sehen. Die Herausforderung ist riesig, wird angenommen ohne nach Vollständigkeit zu streben. Ohne andererseits in die Übertreibung von Beiträgen abzugleiten. Ein Zeitflur eröffnet die Ausstellung mit Büchern und Filmen in Blisterverpackung, mit Zeitungen und Plakaten, die herrlich provokativ sind, begleitet von einem Zeitstrahl, der an die Fortschritte der Rechte und markante Ereignisse wie wissenschaftliche Entdeckungen erinnert. Das darauffolgende Vorzimmer taucht in die pure und echte Gewalt der Körper einer Kiki Smith ein, als Bruno Pélassy den Slogan Francos „Es lebe der Tod“ zweckentfremdet, mit einem Vorhang aus Fäden mit Swarovski-Kristallen.
Eine lange Sequenz erzählt die ablaufende Zeit zwischen Hervé Guibert und Michel Foucault, den Humor eines Copi oder die Texte eines Lagarce. Und dann gibt es die unendlichen Favoriten: Wojnarowicz, Künstler und Aktivist, der Poesie und Politik mischt, in einem photographischen Selbstportrait Sans titre (face in dirt), mit halb eingegrabenem Kopf, wenn sein Mund nicht von Marion Scemama mit roten Fäden zugenäht wurde, in einer bewusst gewaltbetonten Neuinterpretation von SILENCE = DEATH im Jahr 1989. Ein wunderbares kleines Gemälde der Südafrikanerin Marlene Dumas (The Image as Burden, 1993), aus Die Kameliendame. Sogar Nan Goldin zeigt sich fernab seiner berühmtesten Bilder mit intimen Kompositionen voller Sinn: Die Positionen der Körper erzählen weitaus mehr als Worte. Und schließlich Tanzen = Leben, ob mit Alain Buffard, der sich mit AZT-Schachteln und Klettverschluss Absätze baut (Good Boy) oder Anna Halpri, die Kranke und Alte auf der Bühne tanzen lässt (Intensive Care, 2000). Und wie kann man nicht abschließen mit den Schwestern der unendlichen Nachsicht, die treu ihren Präventionsposten annehmen mit ihrer Mischung von problemorientierten und engagierten Nachrichten, queeren Christus-Reliquien und Flyern mit köstlichen Wortspielen?
Im Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg bis zum 4. Februar 2024
musees.strasbourg.eu
> Good Boy d’Alain Buffard, Wiederaufnahme in Pôle Sud (Straßburg) 22. & 23.11. – pole-sud.fr
> Deep in Vogue mit Ksu Labeija, die in der Ausstellung tanzt, 10.12. (14:30 & 17:30 Uhr)