Intime Erfahrungen beim Festival Musica
Die 40. Ausgabe von Musica, die das Spektrum des zeitgenössischen Repertoires weit öffnet, hinterfragt das Intime, dieses „ich zwischen den Noten“.
„Ich bin kein Fan von Jubiläen. Oft ist das ein etwas einfacher Krückstock für ein Programm“, räumt
Stéphane Roth, der einfach diese 40. Ausgabe von Musica ins Zeichen der Intimität stellen wollte, sofort ein. Und der Direktor des Festivals unterstreicht den imperativen Charakter dieser Überlegung zur Subjektivität nach zwei komplexen Jahren: „Ich habe Lust darauf den Platz des „ichs“ in der Musik zu vermessen, die aus einer akzeptierten persönlichen Erfahrung stammt, die sich nicht hinter einer technischen Meta- Sprache versteckt, gegen den Strom des Bildes zu schwimmen, das oft dem zeitgenössischen Repertoire anhaftet“, fasst er zusammen. Und er setzt seine größtmögliche Öffnungspolitik fort, mit der er vor vier Jahren begonnen hat, und die mit neuen Zuschauern ihre Früchte getragen hat – eine Erneuerung von 70% seit seiner Nominierung – die immer jünger werden da 30% jünger als 28 Jahre alt sind. Auch wenn Musica 2022 einige große Namen anführt, wie Georges Aperghis – mit Migrants (15.09., Palais des Fêtes) mit dem Echo einer zeitgenössischen Tragödie mit Au Cœur des ténèbres von Conrad – oder Kaija Saariaho, sein Ehrengast, muss man „dahinterschauen und weiter gehen. Die Projekte dieser riesigen Figuren sind alles andere als klassisch.“ So ist Only the sound remains (16. & 18.09., Le Maillon) ein Werk am Scheideweg: Unter dem Begriff Oper vermischen sich japanisches Nō-Theater, Elektro oder auch finnische Tradition.
Bei Musica werden „alle porösen Kategorien in einem selben Wirbelsturm mitgerissen, verwandeln sich so, als Abbild einer Gesellschaft deren Identifizierungen aus dem Konzept gebracht wurden.“ So entdeckt man eine Solo-Operette mit Personnel et confidentiel (18. & 19.09., TNS), ein Eintauchen in die Kulissen der Existenz eines Countertenors, einen Klangparcours unter offenem Himmel vom Ensembles 2.2 (ab 17.09., über eine App kostenlos zugänglich im Viertel „Quartier des Écrivains“) oder auch Konzerte für sich (16.-29.09.) eine neue atemberaubende Erfahrung mit 300 Vorstellungen für einzelne Zuhörer an ungewöhnlichen Orten, die normalerweise nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Im Programm steht auch die Noise-Musik von Sonic Temple (29.09., Église Saint-Paul), die vierte dieses Namens neben dem „großen Chef“ dieser Gattungs-Kreuzungen, Heiner Goebbels mit Black on White (23. & 24.09., Le Maillon), einer symbolträchtiger Seite des Musiktheaters. Für Stéphane Roth „liegt die Herausforderung darin, aus Musica den Ort zu machen, an dem das Panorama der musikalischen Kreation am weitschweifendsten ist, von neuen Ästhetiken (jene von Jenni- fer Walshe, Caroline Shaw…), bis zu Pop mit der Dimension der Recherche, über Hip-Hop, die „neuen Traditionen“… Alle haben ihren Platz bei einem Festival, dessen Peripherien mehr als jemals zuvor im Zentrum stehen sollen“.
An verschiedenen Orten in Straßburg vom 15. bis 29. September, dann in Nancy vom 30. September bis 2. Oktober
festivalmusica.fr