Ein modernes Paar: Lovis Corinth und Charlotte Berend

Charlotte Berend-Corinth et und Lovis Corinth, Berlin 1914. Photo : Courtesy fluid archives

Während Lovis Corinth ein anerkannter Künstler ist, wurde seine Ehefrau Charlotte Berend vergessen: Eine Doppelausstellung mit 170 Werken erlaubt es die beiden Künstler besser kennenzulernen.

Zwischen Impressionismus und Expressionismus beschreibt treffender die Kunst von Lovis Corinth (1858-1925) als der Titel der Retrospektive, die ihm das Musée d’Orsay 2008 widmete. In der Modernen Galerie vereint Das Leben, ein Fest! leidenschaftliche Gemälde, die oft voller Elan sind. Der Besucher kann den Jubel in Werken wie Joseph und Potiphars Weib (1914) wahrnehmen in dem Lüsternheit sich mit Groteske mischt, in einer Parodie auf diese Episode aus dem Alten Testament1, mit der er der puritanischen Moral seiner Zeit ein Schnippchen schlägt. Oft ist die bacchantische Erotik nichtsdestotrotz von einer tiefen Morbidität umhüllt: In Die Lebensalter (1904) kreieren Freude und Leiden, die Quelle des Lebens und der Wirbelsturm des Todes eine makabre Orgie. Die Körper sind hier von einer intensiven Wollust ergriffen, wie in einem Liegenden weiblichen Akt (1907), der kurioserweise an die Modernität von Lucian Freud in seiner tiefsitzenden Beziehung zum Fleisch erinnert.


Aspekte des alltäglichen Lebens, späte (endlich) ruhige Landschaften rund um den Walchensee, der ihm so wichtig war, aber auch Szenen aus dem Schlachthaus, wie ein Echo zum Geschlachteten Ochsen von Rembrandt: Das Panorama ist komplett, gipfelt in prächtigen (Selbst-)Portraits in denen der Künstler oft seine Ehefrau platziert, wie bei Mädchen mit Stier (1902). Lässig und verschmitzt hält sie das Tier an der Leine, ein metaphorisches Alter Ego des Künstlers, dessen archaische Macht sie anhand eines einfachen rosafarbenen Bandes dominiert.

Aber Charlotte Berend (1880-1967) war nicht nur die Muse von Lovis Corinth: Wiederentdeckt! erlaubt
es eine Frau besser kennenzulernen, die wie ihr Ehemann Mitglied der Berliner Secession2 war – eine der einzigen neben Käthe Kollwitz –, aber in seinem Schatten blieb. „Als Ehefrau, Mutter und Modell, hat sie in seinem Schaffen große Aufmerksamkeit erfahren, ist jedoch als Malerin weitgehend unbekannt geblieben“, fasst Dr. Andrea Jahn, Direktorin des Saarlandmuseums zusammen. Nach dem Tod von Lovis – den sie „managte“ indem sie unter anderem an der Veröffentlichung seines Werks mitarbeitete –, widmet sie sich zu 100% ihrer eigenen Kunst: „Ich will malen was ich will und wie ich es will“, notiert sie 1930 in ihr Tagebuch.

Jene, die 1939 in die Vereinigten Staaten emigriert, hatte sehr früh ihre ersten Erfolge mit Szenen aus dem Nachtleben der Weimarer Republik, die an die Serie Babylon Berlin erinnern. Sie malte zum Beispiel das Portrait der expressionistischen Ikone, der skandalösen Anita Berber, einer frivolen und bisexuellen Tänzerin. Ihre Kunst hinterfragt die Konventionen der Vorstellung der Frau: So zeigt sie in Die schwere Stunde (1908) eine Geburt, bei der sich die gesamte Spannung auf den Körper konzentriert, der das Leben schenkt, wobei sie die Darstellung des „schönen Geschlechts“ vom Joch der Ästhetik befreit. In Selbstbildnis mit Modell (1931) stellt sie die beiden Protagonisten auf die gleiche Stufe, womit sie den souveränen Platz der Weiblichkeit illustriert und Hierarchien ablehnt. Man fragt sich wer modernder war, er oder sie?


Im Saarlandmuseum / Moderne Galerie (Saarbrücken) bis 20. Februar 2022
modernegalerie.org
kulturbesitz.de 

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