Dossier Karlsruhe: das Museum der Zukunft

Peter Weibel au milieu de sa rétrospective, Respektive, au ZKM © Felix Gruenschloss

Wiener Aktionist in den Sechzigern, Theoretiker und Kurator, Peter Weibel ist eine unumgängliche Figur der zeitgenössischen Kunst. Seit 1999 Direktor des ZKM hat er aus ihm mehr als ein Museum gemacht, ein „Mekka der Medien“. Interview.

Inwiefern hat ihre von katholischen und konservativen Werten geprägte Erziehung eine Rolle auf ihrem Weg zum Künstler gespielt?
Wenn ich in einer bürgerlichen Familie aufgewachsen wäre, wäre ich Wissenschaftler geworden. Aber in einem katholischen Internat aufzuwachsen spornt zur Revolte an, denn sonst werden Sie zum Sklaven des Modells, das man ihnen überstülpen will. Ich hatte Probleme und wurde von der Schule verwiesen. Meine Kameraden verbrachten ihre Ferien in Zweitwohnsitzen am Meer, während man mich in eine Adoptivfamilie schickte, die arm war und dies nur machte um staatliche Gelder zu erhalten. Ich arbeitete für sie und sie wurden dafür bezahlt! Mein Bewusstsein für die Klassen, die die Gesellschaft spalten, war geweckt. Dieser aufkeimende Marxismus war natürlich in dieser Einrichtung in Österreich nicht gern gesehen, in einem Land, das infolge des Krieges noch zutiefst faschistisch war. Mit 14 Jahren las ich Baudelaire und Sartre. Meine Lehrer sagten sie seien der Teufel (lacht).

Was denken Sie über die aktuelle Subversion? Ist es möglich ein subversiver Direktor oder Kurator zu sein?
In den 1970er Jahren bin ich zu gesellschaftlichen Themen so weit gegangen, dass man mir vieles vorgeworfen hat. Ich war mehrfach in Haft und war mit der Polizei und Psychiatern konfrontiert. Ich wollte keine Opferrolle einnehmen und auch nicht aus diesem Weg mein Leben machen, denn ich war schlauer. Ich habe also die Strategie gewechselt und ich denke, dass ich heute die gleiche subversive Position habe, die einfach moderner ist. Ich unterstütze den künstlerischen Aktivismus und habe sogar ein Buch zu seiner globalen Dimension herausgeben lassen1.

Critical Zone, Sarah Sze, Flash Point (Timekeeper), 2018 © the artist

Zu Beginn der 2000er Jahre haben Sie Bruno Latour, der noch wenig bekannt war, für eine Ausstellung eingeladen, die in die Geschichtsbücher einging, Making Things PublicCritical Zones ist ihre fünfte gemeinsame Ausstellung…
Da ich ursprünglich aus der Wissenschaft und nicht aus der Kunst kam, las ich seine Publikationen, die ich brillant fand. In Making Things Public hat uns die Frage der Demokratie in den Vereinigten Staaten dazu geführt jene der res publica zu stellen. Habermas schilderte in der Veränderung des öffentlichen Raums die Rolle der Werbung und der Massenmedien. Die Ausstellung zeigte die damaligen Proteste in einer Kritik der Moderne. Critical Zones folgt dem gleichen Prozess, aber im Bezug auf die Natur. In den 1990er Jahren sprachen die dekonstruktivistischen Philosophen von Relativismus. Die Wissenschaft war keine echte Wissenschaft mehr und falsche Essays wurden publiziert. Bruno Latour kam mit dem was er die Postfaktischen Philosophen nannte, was mit der Aktualität à la Trump nichts zu tun hat!

Sie haben die gewöhnlichen Grenzen einer Ausstellung mit GLOBALE oder Open Codes überschritten, die als Orte gedacht sind, an denen man leben, mehrfach kommen, lesen, arbeiten, experimentieren kann…
Ich wollte in der Tat eine Art Drittort kreieren und Open Codes hatte diesen Erfolg ein Hotspot für Teenager zu werden, die einen Ort brauchen um sich zu treffen… Es war auch ein Ort des horizontalen Teilens von Wissen. Mein Wunsch ist es, etwas über die Erfahrung zu vermitteln, einen Anreiz zu schaffen, eine Sozialfabrik. Jeder kann darin kostenlos lernen, Äpfel essen und so viel Wasser oder Kaffee trinken wie er will. Unsere Art zur geistigen Öffnung beizutragen und Wissensdurst zu stillen. Die Leute irren sich, wenn sie denken, sie müssten das Niveau senken um die Massen zu erreichen. Wir haben auch die Art erneuert wie man ein Museum betritt, indem wir einen Ort zum Arbeiten, Leben und Teilen kreiert haben. Die anderen Museen sind für die Touristen gemacht. Sie gehen zum Eiffelturm oder sehen die Mona Lisa ohne eine Überlegung zur Entstehung dieser Werke. Das ZKM bietet nicht wie andere Sammlungen von Objekten oder Werken, deren Besichtigung wie eine Trophäe ist.

© ZKM Center for Art and Media Karlsruhe, Photo Uli Deck

Wie sehen Sie die Zukunft des ZKM, zwischen manchmal lebendigen Ausstellungen wie jener von Sasha Waltz und Erfahrungen mit digitalen Interaktionen? 
Unser Streben nach einer Beteiligung der Besucher wird gefolgt von einer zunehmenden performativen Seite. Nicht vom Standpunkt der Künstler aus, wie in den Theatern, sondern aus dem Blickwinkel des Publikums. Die Performance ist die Demokratie und die Leute wollen nicht mehr einfach nur alle 3 oder 5 Jahre wählen. Wir sehen, dass der Widerstand zunimmt und dass autoritäre Bewegungen wieder vermehrt auftreten. Aber damit eine Demokratie existiert, muss man bilden, der Doxa der allgemeinen Meinung den Rücken kehren, emanzipieren. Ein performatives Museum ist ein Trainingscamp für die Demokratie.


Critical Zones, im ZKM (Karlsruhe), vom 24.07. bis 28.02.2021
zkm.de

1 Global Activism: Art and Conflict in the 21st Century, The MIT Press, Cambridge/Mass, 2015

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