Das Vitra Design Museum widmet Iwan Baan eine Retrospektive
Eine groß angelegte Retrospektive mit den Photographien von Iwan Baan, Moments in Architecture befasst sich ebenso mit dem Theater des Lebens wie mit den Linien des Gebauten.
Ob regional oder als Ergebnis der Arbeit eines Pritzker-Preisträgers, Architektur lässt dem Photographen Iwan Baan keine Ruhe. Der unumgängliche Niederländer, Autor der schönsten Aufnahmen, die wir zu Gesicht bekamen, wirft einen Blick voller Menschlichkeit auf die Beziehung zwischen Gebäuden und Umgebung, Alltag und künstlerischer Geste, Utopien in Form einer Skyline und ausgebeutete Bauarbeiter, traditionelle Wohnformen und modernistische Reibungsflächen. Das Ganze, indem er von einem Kontinent und von einer Kultur zur anderen springt, mit derselben Neugierde im Blick, dem Sinn für das Detail, das eine Geschichte erzählt und eine menschliche Perspektive in jeder seiner Aufnahmen. Sie in Großformat im Vitra Design Museum zu entdecken – und zu durchstreifen – wo sie die Wände der Institution wie Echos bedecken, die uns von einem zum nächsten führen, ist eine wahre Freude. „Ich interessiere mich für die Erkundung der Spezifitäten eines Ortes, ohne dabei zu versuchen einfache stilistische Kompositionen einzufangen“, versichert der Künstler. Trotz seiner äußerst graphischen Ansichten, aller ausgefeilten Fluchtlinien und Kompositionen (das Dach der Elbphilharmonie in Hamburg oder das „Vogelnest“ der Olympischen Spiele in Peking, das sich im Wasser von Herzog & de Meuron widerspiegelt), nichts ersetzt diesen Anonymen, der sich vor der riesigen Baustelle des Harbin Opera House rasiert oder diese Arbeitsbänke auf dem Schnee vor einem Metall-Monster, das an einen Drachen in einem Eisland erinnert. Wie ein „Hintergrund des alltäglichen Lebens“ verschwindet die Architektur oft hinter dem was die Menschen festigt und was uns untereinander verbindet.
Komplexer kontext
Iwan Baan dokumentiert den rasenden Aufschwung der chinesischen Wirtschaft, ihre Maßlosigkeit, die sich mit den gesellschaftlichen Schäden in ihrem Kielwasser misst. Ein Beweis dafür, dass man die Hüllen der Gebäude verherrlichen, mit Licht und Schatten spielen, die Transparenz hervorheben und die Größenverhältnisse umstoßen kann und dabei gleichzeitig dieses Streben nach dem immer höheren, immer schöneren Bauen an ihren Platz verweisen kann: Ein alter Mann, von hinten, steht dem London Mastaba von Christo und Jeanne- Claude gegenüber, einem Stapel von 7506 leeren Ölfässern, die eine über dem Hyde Park schwebende Pyramide bilden. Die Trunkenheit im Angesicht der Maßlosigkeit der Welt in einer monumentalen Skulptur. Der Clou der Ausstellung ist das Eintauchen in Städte, mit einer Hängung an metallischen Strukturen, die an Konstruktions-Prinzipien erinnern: Von den Kopten Kairos, die Plastikberge recyceln bis zu den Wolkenkratzern von La Torre David, unvollendet und besetzt im Herzen von Caracas, bis zum schwimmenden Viertel der Fischer von Lagos in Makoko oder den futuristischen Gebäuden in Abidjan und Nairobi. Die Komplexität der Errichtung und die urbane Landschaft werden untersucht und geben zu denken. Die sich ständig wiederholenden Unterkünfte in Monterrey ähneln einem missratenen Stadt-Paket aus den Sims. Von der Erfindung einer Mythologie zur Nächsten, stellt der Photograph auch mit bissigem Humor seine Aufnahmen aus Rom und Las Vegas gegenüber, die so ineinander verschachtelt sind, dass man Mühe hat das Original von der Kopie inmitten einer Wüste voller Casinos zu unterscheiden. Wenn die Profitgier das Erbe verdrängt und den Tod der Geschichte erfindet.
Im Vitra Design Museum (Weil am Rhein) bis zum 3. März 2024