Camille Pissarro im Kunstmuseum Basel
In Basel entfaltet sich das Werk von Camille Pissarro in Das Atelier der Moderne. Rund 180 Gemälde und Zeichnungen zeigen seinen Einfluss auf seine Kollegen und bewerten seinen Platz in der Kunstgeschichte neu.
Camille Pissarro (1830-1903) spielte eine entscheidende „ Rolle in der Kunst des 19. Jahrhunderts, selbst wenn dieser Stellenwert nicht immer wahrgenommen wird “, fasst Josef Helfenstein, der Direktor des Kunstmuseums und Ko-Kurator einer komplexen Ausstellung zusammen. Sie erlaubt es, das Missverständnis aus dem Weg zu räumen, das darauf beruht den Maler als einen ein wenig langweiligen Mitläufer zu betrachten. Der Rundgang mit seiner lebenslangen Beziehung zu seinen Kollegen als roter Faden — er formt sich indem er die anderen formt — , beginnt mit den Anfängen eines Autodidakten, der von der École de Barbizon beeinflusst wird: Im ersten Saal ein idyllischer Ausblick auf La Varenne-Saint-Hilaire, der mit Landschaftsgemälden von Corot oder Daubigny in einen Dialog tritt. Als Gründer der impressionistischen Gruppe mit Monet, Degas oder Sisley wird er der einzige sein, der an allen acht Gruppenausstellungen zwischen 1874 und 1886 teilnimmt. In rund zwanzig Gemälden ist, das Gruppenportrait begeisternd, darunter insbesondere der geniale Train dans la neige (1875) von Monet, ein durchdringendes Auftauchen der aufkommenden Technik in der Stille einer gedämpften Landschaft.
Die folgenden Räume erkunden die intensiven und komplexen Beziehungen von Pissarro zu den Jüngeren, darunter Gauguin zum Thema Gravur, Cassatt1 oder Degas. Ohne natürlich Cézanne zu vergessen, den er als einziger sehr früh verstand und verteidigte: „Der alte Pissarro war wie ein Vater für mich. Es ist ein Mann, den man um Rat fragen kann, ein wenig wie der liebe Gott“, sagte letzterer. An den Basler Wänden zeigt sich die Verbundenheit der beiden Männer, die gemeinsam ihre Staffeleien auf dem Land rund um Pontoise aufstellten: Symphonien in grün, in denen der Jüngere ungestüm die Geste des Malers beim Malen abbildet. Man entdeckt einen Pissarro, der revolutionärer ist, als man es sich vorstellte, der sogar anarchistische Überzeugungen pflegt von denen seine Turpitudes sociales2 zeugen.
Es ist also kaum verwunderlich, dass er sich auf der Seite der Neo-Impressionisten einordnet, Seurat, Signac oder Luce (von dem das wunderschöne Bords de mer (1893) gezeigt wird), die das Alter seiner Kinder haben. Ein Beispiel hierfür ist der Elan eines Chemin de campagne (um 1886) oder Les Glaneuses (1889), ein Meisterwerk zwischen bäuerlichem Humanismus und ländlichem Sakralbild. Die Arbeit im Atelier, die dieser pingelige Pointillismus erforderte, passt nicht zu Pissarro, der die Lebendigkeit eines Pinselstrichs in der Bewegung vorzieht, zu dem er am Ende seines Lebens zurückkehrt. Der Künstler hat sich ohne Unterlass mit der Modernität seiner Epoche herumgeschlagen, war ihr oft voraus und hat sie provoziert, ohne jemals zu einer Gewissheit zu gelangen: „Ich habe manchmal furchtbare Ängste ein Gemälde umzudrehen, ich fürchte immer ein Monster an der Stelle des wertvollen Schmuckstückes zu finden, das ich glaubte realisiert zu haben“, schrieb er 1883 an seinen Sohn.
1 Amerikanischer Impressionist (1844-1926), der sich fast nur für die menschliche Gestalt interessierte
2 Album mit Zeichnungen vom Ende der 1880er Jahre, das er seinen Nichten schenkte. Es zeigt das Unglück der Armen und die gleichgültige Habgier der Reichen
Im Kunstmuseum Basel | Neubau bis 23. Januar 2022
> Führungen in deutscher Sprache jeden Samstag (15 Uhr), Führung mit
dem Kurator Josef Helfenstein (15.12., 18:30 Uhr)