Brasil! Brasil! im Zentrum Paul Klee nimmt den Besucher mit zu einem Aufbruch in die Moderne
Im Zentrum Paul Klee nimmt Brasil ! Brasil ! den Besucher mit in den Aufbruch der Moderne, erkundet die verkannte Kunst eines verzaubernden Landes anhand von rund 130 Werken.
Als symbolisches Datum für den Eintritt der Moder- ne in die Kunst eines Brasiliens, das Anfang des 20. Jahrhunderts Mitten im ökonomischen Boom steckt, ist 1922 festzuhalten. Die Semana de Arte Moderna, die vom 13. bis 17. Februar im Theater von São Paulo organisiert – und vom Kaffee-Magnaten Paulo Prado finanziert wurde –, ist ein erster Versuch sich aus dem ästhetischen Kanon des Akade- mismus und den politischen kolonialen Einflüssen Portugals zu befreien, womit der Wunsch manifest wird, die Konturen einer nationalen Kunst zu zeichnen. Es geht darum die europäische Kultur zu absorbieren und zu verdauen, um sich ihr besser zu entledigen, wie es Oswald de Andrade in seinem Manifesto Antropófago aus dem Jahr 1928 formulierte.
Es ist dieses Epos, das hier erzählt wird, mit den Werken von zehn Malern als roter Faden, aber auch zahlreichen Ausflügen in die Felder der Literatur, der Musik, des Designs und der Architektur… Die Einflüsse der Pariser Avant-Garden sind bei einigen sehr präsent: So prägt der Kubismus O pequeno nu (1916) von Anita Malfatti, Mitglied der Gruppe der Fünf an der Seite von Tarsila do Amaral deren Kompositionen mit verträumter Exotik, wie O Lago (1928), an idyllische Utopien erinnern. Sie gibt die Realität des brasilianischen Volkes auf idealisierte Weise wieder, mit einer Spur von Naivität, wie auch Vicente do Rego Monteiro, der sich für die indigenen Kulturen interessiert, die er… in den Museen entdeckt, wobei er die Motive der Keramiken der präkolumbianischen Völker aus dem Amazonasgebiet als Matrix für seine abstrakten Ölgemälde nutzt (Composição indígena, 1922). Er entleiht ihnen auch Erdfarben und emblematische Motive, wie jene der Muttergottheit (Mulher sentada, 1924).
Zum Großteil Autodidakten unterhalten andere eine direktere Beziehung zum brasilianischen Volk, wie Djanira da Motta e Silva: Mit ihren zu Unrecht als naiv eingestuften Gemälden zeigt sie das populäre Substrat des Landes, zwischen katholischer und afro-brasilianischer Religiosität (Três orixás, 1966) und Straßenszenen (Caboclinhos, 1951). Auch wenn die „spontane Geometrie“ von Alfredo Volpi – Maste und Schiffskabinen oder Türen und Fenster von Gebäuden, die die gesamte Leinwand einnehmen – verführerisch ist, bleibt man verblüfft von den Kompositionen von Rubem Valentim. Von der Kritik oft auf den Status des Magiers der Konkreten Kunst reduziert, ist er zweifelsohne das schönste Beispiel dieses angewandten Kannibalismus, den wir erwähnten. Während man die Präsenz eines Paul Klee (Sem título, 1962), sogar die strenge rigorose Abstraktion eines Ellsworth Kelly (Composição, 1961) spüren kann, sind seine Ölgemälde allem voran Manifeste der afro-brasilianischen Allmacht, von großer Bildgewalt, in der die Quellen von der anderen Seite des Atlantiks vor den Gottheiten und anderen altüberlieferten Symbolen erblassen
Im Zentrum Paul Klee (Bern) bis zum 5. Januar 2025
zpk.org
> Geführte Besichtigungen samstags (15 Uhr) und sonntags (13:30 Uhr)
> Literarische Führung mit Schauspielerin Michaela Wendt am 06.10., 10.11. & 01.12. (15 Uhr)