Begegnung mit Volker Schlöndorff
Volker Schlöndorff, Preisträger eines Oskars und einer Goldenen Palme für Die Blechtrommel war in Straßburg Gast des Festivals Augenblick, das dem deutschsprachigen Kino im Elsass gewidmet ist. Begegnung mit einem Monument der Filmkunst.
Was ist ihre Definition eines Films?
Ich erinnere mich an diesen Satz von Stendhal, den ich in der Schule gelernt habe, der den Roman so beschrieb: „Ein Spiegel, der über eine große Straße wandert.“ Für mich antwortet er perfekt auf diese Frage.
Sie erwähnen die Romane: Eine Konstante in ihrer Karriere ist ihre Umsetzung im Kino. Wie erklären Sie das?
Wenn ein Buch Sie bewegt, wollen Sie darüber mit anderen sprechen, es mit ihnen teilen, und da Sie Angst haben, dass diese es nicht lesen, wie Sie es gelesen haben, ist es besser einen Film zu machen, um es ihnen zu zeigen. Es handelt sich gleichzeitig um eine großzügige Haltung und einen Willen nach Kontrolle [Lacht]. So habe ich angefangen (mit Der junge Törless nach Musil im Jahr 1966, Anm.d.Red.), bevor ich versucht habe eigene Drehbücher zu schreiben, aber das ist mir nicht gelungen, deswegen bin ich zur Literatur zurückgekehrt. Auf jeden Fall ist es besser, das zu machen, was man kann, als das zu machen, was man möchte.
Warum haben Sie keine Theaterstücke als Grundlage für ihre Filme ausgewählt, wie es ihr Freund Billy Wilder so oft tat?
In einem literarischen Werk sind es nicht die Dialoge oder die dramatische Struktur, die mich interessieren, sondern eher die Atmosphären, die Großaufnahmen von Gesichtern, das Nicht-Gesagte… Das Theater ist zu geschwätzig für das Kino. Ein gutes Stück ist wie ein gut geöltes Uhrwerk, man muss es absolut genauso umsetzen: Das habe ich bei der Adaptation von Diplomatie von Cyril Gélyen im Jahr 2014 gemacht. Der Roman lässt mehr Freiheiten und man kann sich hinter dem Autor verstecken. Für mich sollte ein Regisseur diskret sein und hinter dem Film verschwinden.
Sie haben sich sogar 1984 an Proust gewagt, mit Eine Liebe von Swann…
Und ich bedauere es nicht, selbst wenn alle meine Freunde, allen voran Bertrand Tavernier und Louis Malle, versucht hatten mich davon zu überzeugen die Finger von dieser „Heiligen Kuh“ zu lassen, da das, wie sie sagten, nur einen Wasserfall von Missverständnissen auslösen konnte. Das hat mich nicht eingeschüchtert. Ich denke ich habe damals den Weg bereitet, denn andere sind mir gefolgt, aber je mehr Adaptationen von Proust ich sehe, desto mehr sage ich mir, dass meine den längeren Atem hat [Lacht].
Ihr Kino konfrontiert sich auch extrem oft mit der deutschen Geschichte: Woher kommt diese andere Konstante?
In Zazie in der Metro lässt Raymond Queneau eine seiner Figuren sagen: „Das Leben hat mich zu dem gemacht, der ich bin.“ Ich bin zum ersten Mal, mit 14 Jahren, nach Straßburg gekommen: Mein Vater hatte seine drei Söhne in den Käfer gesteckt, um ihnen die Stadt und die Region zu zeigen, insbesondere den Isenheimer Altar. Vorher hatte ich nie daran gedacht mich für dieses Land zu interessieren. Wiesbaden, wo wir wohnten, war eine amerikanische Zone: Ich fuhr total auf die USA, den Jazz, Hemingway, etc. ab. Und diese Reise hat alles verändert… Ich wollte mehr erfahren, sogar hier mein Studium durchführen, verließ mein Land 1956 in Richtung Vannes (wo er bei den Jesuiten im Gymnasium Saint François-Xavier studiert, Anm.d.Red.). Im Internat war ich natürlich der einzige Deutsche und ich musste immer den deutschen Standpunkt erläutern: Als wir Nacht und Nebel von Alain Resnais schauten (ein anderer ehemaliger Schüler des Gymnasiums Saint François-Xavier, Anm.d.Red.) war ich alleine inmitten von rund hundert kleinen Franzosen, die mir die selbe Frage stellten: „Wie war das möglich?“ Ich habe mich seitdem ohne Unterlass mit der Geschichte meines Landes konfrontiert, es ist ab diesem Moment zu einer Notwendigkeit geworden. Aber ich bin nicht alleine und eine ganze Generation hat sich dieselben Fragen gestellt.
Was ist heute von diesem Neuen Deutschen Film übrig, im Zuge dessen Sie mit Alexander Kluge, Wim Wenders, Werner Herzog, Werner Schroeter oder auch Margarethe von Trotta verkehrt haben?
Freundschaften mit Werner [Herzog] und Wim, aber auch die Erinnerung an eine Epoche, in der wir daran glaubten, dass wir das Kino erneuern könnten und den Krieg der Kinobegeisterung, vor allem in Deutschland, gegen die Nouvelle Vague gewinnen könnten. Davon bleibt leider sehr wenig übrig. Diese Schlacht wurde in meinem Land verloren. In Frankreich liegen die Dinge anders.
Dennoch gibt es auch eine Krise des Kinos…
Das Kunst-und Essay-Kino kränkelte schon ein wenig. Es darf nicht sein, dass die Pandemie ihm den Todesstoß versetzt: Viele ältere Personen – die einen großen Teil des Publikums ausmachen – haben nicht den Weg zurück in die Säle gefunden, aus Angst, aber auch weil sie gelernt haben das Internet zu benutzen [Lacht]. Die Jungen beginnen erst damit dieses Genre zu entdecken, das sieht man insbesondere hier bei Augenblick. Man muss bei ihnen einen regelrechten Kreuzzug führen, um ihnen zu zeigen, dass etwas jenseits von Netflix existiert.