Begegnung mit dem Superstar der Oper Roberto Alagna
Der Opern-Superstar, Roberto Alagna ist ein Hors-la-loi, der gerne „ausgetretene Pfade verlässt“, das Repertoire von Luis Mariano erforscht, durch das französische Chanson spaziert und Al Capone in einem gleichnamigen Musical verkörpert. Begegnung mit einem Tenor mit goldener Stimme.
Kurz über Sechzig und eine vierzigjährige Karriere: Das Ereignis wird mit einer Platte mit dem nüchternen Titel Roberto Alagna 60 (Aparté, 2024) gefeiert. In fünf drei- stündigen Sitzungen aufgenommen, ist dieses gehaltvolle Werk „ein Abbild meines stimmlichen Zustandes zu ei- nem bestimmten Moment, auch wenn er sich stetig entwickelt. Ich war ein wenig krank, habe aber keinerlei Over- dub gemacht, es kam nicht in Frage zu schummeln“, erklärt der Tenor mit einem Lächeln. „Dieses Programm ist aus allem komponiert, was mich erfüllt, denn es spiegelt meine Karriere wider, meinen Geschmack und meine Neugierde für weniger bekannte Werke und Repertoires, die von klassischen Interpreten wenig erkundet werden“. Es handelt sich in der Tat um einen Spaziergang in den hintersten Winkel der Kunst eines Man- nes, der nie davor zurückgeschreckt hat krumme Wege zu gehen – indem er insbesondere eine CD in Hommage an Luis Mariano herausbrachte, die man immer wieder und wieder hört, bis man seinen Bürokollegen damit in den Ohren liegt, mit Mexico, La Belle de Cadix, etc. – und der manchmal von sich reden machte. So rief er den größten Skandal der Operngeschichte hervor, bei der Eröffnung der Saison 2006/07 im Teatro alla Scala, wo er die Bühne mitten in der Aufführung von Aïda verließ, während er von den loggionisti ausgepfiffen wurde – diesen Aficionados, die von der Galerie aus einen guten Ruf verleihen oder ihm schaden – um erst sechzehn Jahre später, für Fedora in das Mailänder Theater zurückzukehren. Es ist im Übrigen der Graf Loris Ipanoff, den er erneut in der Oper von Giordano im Grand Théâtre de Genève singen wird, als wir uns mit ihm unterhalten, eine Rolle, die von Enrico Caruso geschaffen wurde, auf den unter anderem der große Luciano Pavarotti folgte… In diese Nachfolge schreibt sich Roberto Alagna, der sich auch – und das stellt man in diesem Best of fest – in der französischen Oper wohlfühlt (Gounod, Massenet, Adam, etc.), der italienischen (Verdi, Leoncavallo, Pergolesi), der deutschen (Wagner, selbst wenn er sie sehr spät in Angriff nahm), der polnischen (ein wunderbarer Auszug aus Halka von Stanisław Moniuszko erinnert daran, dass seine Ehefrau die Sopranistin Aleksandra Kurzak ist) oder russischen (Tschaikowski, Rimski-Korsakow) wie im italienischen oder französischen Chanson, ohne Crossover zu vergessen.
GESTERN
Auf dieser Platte, wie in einem Straßburger Konzert, das vor Kurzem, Puccini in der Kirche Saint-Guillaume gewidmet wurde, trifft man auf eine betörende Stimme, die fesselnd ist in all ihrer Fülle, warm, einschmeichelnd und strahlend, mit homogenen Linien und einer präzisen Aussprache. Das Timbre zieht in seinen Bann und trotzdem hatte er lange ein gespanntes Verhältnis zu ihm: „Pavarotti hat seine Stimme immer gemocht. Er hat versucht sie so lange wie möglich zu konservieren und nichts zu ändern. Für mich ist das Gegenteil der Fall: Wenn ich Platten bekam, die ich aufgenommen hatte, war es ein Martyrium sie anzuhören. Ich war enttäuscht, ich wollte sie zerstören… ich habe lange nach einem idealen Klang gesucht, den ich im Kopf hatte, und dann habe ich ei- nen normalen Rhythmus gefunden, der es mir erlaubt hat meine Stimme zu akzeptieren. In Wahrheit hat sie sich nicht so sehr verändert: Die Überschwänglichkeit der Jugend, eine Mischung aus Arroganz und Mühelosigkeit bei den hohen Tönen hat Platz gemacht für eine größere Sensibilität und technische Beherrschung.“ Es stimmt, dass Roberto Alagna seit Kindheitstagen nach dem perfekten Klang, oder eher einem Ge- fühl der Erfüllung strebt: „Als ich neun oder zehn Jahre alt war, sang ich im Ohr von Dionysios, einer künstlichen Grotte in Syrakus, in Sizilien. Ich erinnere mich nicht an den Klang, aber an das Gefühl, den er in meinem Körper erzeugte: Ich habe wie eine Art Elektrizität gespürt, ein Wohlsein, das mich überkam. Seit diesem Augenblick versuche ich diese Magie wiederzufinden. Vielleicht liegt es an der Akustik dieses Ortes, es sei denn meine Erinnerung idealisiert sie [lacht]. Jedenfalls renne ich dem immer noch nach. Manchmal finde ich dieses Gefühl wieder, nachts, in meinen Träumen, und am Morgen ist es verflogen.“
MORGEN
Im Zuge der Tournee Hors-la-loi, interpretiert er die besten Lieder aus Al Capone (2023), einem Musical von Jean-Félix Lalanne, in dem sich der unbestechliche Eliot Ness in Rita, die Schwester des Gangsters, verliebt. Ein weiteres Mal findet man Roberto Alagna dort wo man ihn nicht erwartet… Und das nicht zum letzten Mal, denn sein Terminkalender ist voll bis ins Jahr 2028, die Projekte und Ideen häufen sich, ohne dass er einen Blick zurück- wirft. Bereut er etwas? „Nicht wirklich, vielleicht nicht Dick Johnson in La Fan- ciulla del West von Puccini interpretiert zu haben, denn ich hätte gerne einen Cowboy gespielt, wie als ich klein war“, sagt er lachend. Der Tenor richtet sei- nen Blick auf die Zukunft, auf Houdini, eine Oper, die Laurent Petitgirard für ihn komponiert – „Seit dem Film von George Marshall mit Tony Curtis hat mich der Magier immer fasziniert“ – und ein neu- es Stück von Jean-Felix Lalanne, „eine fiktive Geschichte, die auf wahren Gegebenheiten beruht und eine Beziehung zwischen Liebe, Hass und Bewunderung erkundet – ein wenig wie jene zwischen Salieri und Mozart – zwischen Caruso und dem damaligen Direktor der Metropolitan Opera, Giulio Gatti-Casazza.“
In L’Axone (Montbéliard) am Donnerstag den 9. Januar, im Cube (Troyes) am Samstag den 11. Januar, im Palais de la Musique et des Congrès (Straßburg) am Samstag den 25. Januar, im Espace des Arts (Chalon-sur-Saône) am Freitag den 7. März und in La Commanderie (Dôle) am Donnerstag den 13. März
robertoalagna.com
Alles von Alagna… oder fast
Neben der CD Alagna 60, die in diesem Portrait genauer besprochen wurde, ist vor Kurzem eine Box mit 33 CDs erschienen, die erstmals, die Gesamtheit seiner Opernaufnahmen vereint, die ursprünglich von Erato, EMI Classics, Virgin Classics und Warner Classics herausgebracht wurden. All’Opera ist eine wahre Opern- Orgie, in der die legendäre Carmen, dirigiert von Michel Plasson – in der er einen Don José lebendig darstellt, der in die Geschichtsbücher einging, neben Angela Gheorghiu in der Titelrolle –, und Les Contes d’Hoffmann, unter der Leitung von Kent Nagano, mit einer außergewöhnlich luxuriösen Besetzung (Natalie Dessay, José van Dam, etc.) aufeinandertreffen. Wir haben auch eine Schwäche für Tosca mit Antonio Pappano am Dirigentenpult, beflügelt von einem Roberto Alagna (Cavaradossi) auf dem Gipfel seiner Kunst – unverschämt hohe Töne und eine unglaubliche Tiefe –, einer strahlenden Angela Gheorghiu (Tosca) und einem herrlich düsteren Ruggero Raimondi (Scarpia)!