Art brut : ein besonderer Dialog im Museum Würth

DARGER Henry - Jenny and Her Sisters are Nearly Run Down by Train, Collection Graffe copie

Die schönsten Repräsentanten der Art brut gehen einen Besonderen Dialog mit der Sammlung Würth ein, für ein aufregendes Panorama mit rund 160 Werken.

Er ist einer der großen Namen der Art brut: Der Sammler und Galerist, Pionier von internationalem Ruf, Jean-Pierre Ritsch-Fisch1 ist der ideale Kurator für eine solche Ausstellung. In Zusammenarbeit mit Claire Hirner, der Museumskuratorin bei Würth, hat er aus dem größten in Privathand aufbewahrten Ensemble geschöpft, das einen beeindruckenden Korpus von Werken vereint, „die von autodidaktischen Künstlern realisiert wurden, welche von einer starken inneren Notwendigkeit bewegt wurden“. Sie haben die Surrealisten fasziniert, die Mitglieder von CoBrA2, aber auch Georg Baselitz – den die Sammlung Prinzhorn3 hypnotisierte – von dem ein Gemälde den Rundgang eröffnet: Die Metapher der Wut, Ira (1986) kehrt ausnahmsweise das Auf-den-Kopf-stellen der Figur ab 1969 um. Im Laufe der Säle, Werke von Dubuffet – dem man die Definition der Konturen der Art brut im Jahr 1945 verdankt – oder Penck, die Resonanz in jenen von weniger bekannten, manchmal auch anonymen Künstlern finden. Wenn der Ausdruck „Kunst der Verrückten“ natürlich ungeeignet ist, ist es eine Tatsache, dass einige in psychiatrischen Einrichtungen interniert wurden, wie Paul Goesch, Opfer der Aktion T4 zur Exterminierung der Geisteskranken im Dritten Reich. Seine Zeichnungen voller starker Mythologien unterhalten sich mit den Aquarellen von Nolde. Ironie der Geschichte, letzterer, der davon träumte, der Vorreiter der Nazi-Kunst zu werden, wurde als „entartet“ eingestuft.

Der Besucher bleibt sprachlos vor der zügellosen Kreativität von Aloïse Corbaz – mit seinen Portraits mit blauen Augen, die mit Kreide und Buntstiften realisiert wurden – oder von Henry Darger, der, heimlich, ein unwahrscheinliches bildliches und literarisches Werk von mehr als 15 000 Seiten produzierte, epischträumerische Fresken, deren Helden sieben kleine Mädchen mit männlichen Geschlechtsteilen sind, die Vivian Girls. Hinter diesem Kampf zwischen Gut und Böse, der sich in Traumlandschaften entfaltet, tauchen indirekt die Traumata auf, die der Autor in seiner Kindheit erlitt,… Vom riesigen, strahlenden Reliquienschrein aus Muscheln, der an eine Synagoge von Paul Amar erinnert, bis zu einem außergewöhnlichen Möbelstück in Form einer Vanitas, die die Jahrhunderte verbindet, von Hervé Bohnert, bis hin zu einem unglaublichen Bestiarium von Joseph Baqué oder den minutiösen und zwangsneurotischen Skulpturen von A.C.M., die aus Transistoren und anderen elektronischen Komponenten gemacht wurden, ist das Ensemble extrem reich und vielfältig. In einem bereichernden Dialog mit Asger Jorn, Jonathan Meese oder Max Ernst, hat dieses Fenster zur Art brut zum „Ziel Türen zu öffnen, um Lust darauf zu machen, weiter zu gehen“, fasst Jean-Pierre Ritsch-Fisch zusammen. Mission gelungen.


1 Er hat gerade seine Straßburger Galerie (6 rue des Charpentiers) verkauft, deren Abenteuer sich nichtsdestotrotz fortsetzt – ritschfisch.com

2 Für Kopenhagen, Brüssel, Amsterdam. Eine 1948 gegründete Kunstbewegung, eine Internationale der experimentellen Künstler, in Reaktion auf den Streit zwischen Abstraktion und Figuration. Sie vereint Asger Jorn, Karel Appel, Pierre Alechinsky, Corneille…

3 Sie wird dem Publikum dauerhaft in einem Saal der psychiatrischen Abteilung des Universitätsklinikums Heidelberg präsentiert – prinzhorn.ukl-hd.de


Im Musée Würth (Erstein) bis zum 21. Mai 2023
musee-wurth.fr

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