Angst über der Stadt: Phantasmagorien im Musée alsacien
Mit Phantasmagorien, Laternen der Angst zwischen Wissenschaft und Aberglauben, betrachtet das Musée alsacien die unglaubliche Kreativität eines Vorfahren des Kinos und seiner genialen Illusionisten.
Auch wenn der Begriff Phantasmagorie heute in den Sprachgebrauch eingegangen ist, verkennen viele seine Ursprünge. Ende des 17. Jahrhunderts verfrem- den verschiedene Individuen – oft mit einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung – auf ihre Art die Möglichkeiten, die die Lanterna magica1 bietet. Sie platzieren sie hinter Leinwänden um die Illusion von Erscheinungen und Gespenstern zu erzeugen, animieren sie mit mehr oder weniger teuflischen Bewegungen, dank Mechanismen und diversen Zauber-Techniken, die die Sinne verwirren. Das Ganze wurde brillant getauft und drang bis zu uns durch. Es erstaunt nicht, dass ein gewisser Méliès bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts die selben Techniken in seinen Spektakeln und Trickaufnahmen für das entstehende Kino verwendete. Die Phantasmagorie entsteht nur einige wenige Jahre vor der Erfindung der Photographie und hundert Jahre vor der Erfindung der Gebrüder Lumière.
Candice Runderkamp-Dollé, Co-Kuratorin der Ausstellung, erinnert daran, dass sie „nicht aus einer Erfindung sondern der Verbindung diverser Elemente entsteht, die von talentierten Männern inszeniert wurde: Ein altes Verfahren – die Lanterna magica – und innovative wissenschaftliche Experimente (Chemie, Optik…), verbunden mit einer makabren Thematik, die aus der frühren Romantik und der Ästhetik der Gotik schöpft, findet ein besonderes Echo im politischen und sozialen Kontext der Terrorherrschaft, bei einem Publikum, das verrückt nach Esoterik ist.“ Die „Lanternen der Angst“ lassen das europäische Publikum erschaudern, profitieren von der Faszination für Totenbeschwörungen2 und Erscheinungen. Ihr goldenes Zeitalter fällt mit dem Ende des Ancien Régime und den großen Stunden der Romantik zusammen, zu denen Goethes Faust und die Furcht erregenden Gemälde von Füssli und Goya gehören. Auf den Glasplatten, deren Motive auf Rauchwolken zum Leben erweckt werden, schwarz verhüllten Wänden oder Leinwänden, entfalten sich kleine Teufel mit Hörnern, langen Schwänzen und gekrümmten Beinen, hämisch lachende Skelette, die sich den Kopf abschneiden, ein in weiß gehüllter Sensenmann mit einer Sanduhr in der Hand, ein Kind, das auf einer bunten Chimäre reitet oder auch Prozessionen von Monstern und Hexen, die fröhlich feiern. Diese Kunst der Täuschung spielt mit unseren Sinnen, mit dem Auftauchen von Überblendungen, die durch kleine Mechanismen erzeugt werden und sich in eine beängstigende Stimmung einfügt. Bauchredner halten Dialoge mit Abwesenden, als Gespenster geschminkte Schauspie- ler erstechen Erscheinungen mit Schwertern, kleine explosive Kugeln aus feinem Glas, die mit Weingeist gefüllt sind, werden in Kerzen gesteckt. Wenn sie beim Kontakt mit der Hitze zerspringen, lässt das Geräusch aufschrecken, bevor der Luftzug die Flamme erlöscht, was zum Grauen der Dunkelheit führt. Die Meister des Horrors waren geboren.
Im Musée alsacien (Straßburg), bis 22. März 2021
musees.strasbourg.eu
1 Erfindung von Christiaan Huygens im Jahr 1659, die es erlaubt, ein gemaltes Bild auf eine Glasplatte zu projizieren, die in einem Apparat zwischen einer Lichtquelle und einem Satz Linsen steckt
2 Okkulte Praktiken und Rituale, die als magisch bezeichnet werden