Die Ausstellung Mode d’emploi lädt die Besucher dazu ein dem Protokoll zu folgen
Von Künstlern erdacht und von Besuchern aktiviert, werden rund fünfzig protokollierte Werke in Mode d’emploi vereint.
Ein gelber Wollpullover, der über- dimensional erscheint, liegt auf dem Boden. Zwei Personen werden dazu eingeladen gleichzeitig in ihn hineinzuschlüpfen: Dieser Repräsentant der Serie der One minute sculptures von Erwin Wurm aus dem Jahr 2002 illustriert auf sehr klare Weise den Begriff des „protokollierten Werkes“, das im Laufe der Säle dekliniert wird. „Ausgehend von Instruktionen des Künstlers, einer Art Rezept (geschrieben, gezeichnet oder mündlich, je nachdem) wird ein Dritter das Werk aktivieren“, fasst Anna Millers, eine der Kuratorin- nen dieser Ausstellung zusammen, die in acht Abschnitte unterteilt ist, welche jeweils mit einem Verb betitelt sind (De- legieren, Aktivieren, Interpretieren, etc.). Sie laden zu einem Rundgang von den Sechzigern bis heute ein, selbst wenn die großen Vorfahren, die hier wie freundschaftliche Schatten schweben, Marcel Duchamp – im Jahr 1919 schickt er einen Brief an seine Schwester, der Instruktionen für die Umsetzung eines Unhappy Readymades beinhaltet – und László Moholy-Nagy heißen, mit seinen Telephonbildern in Emaille aus den 1920er Jahren, die von einem Industriellen realisiert werden, nachdem er ihm ein präzises Leistungsverzeichnis per Telephon kommuniziert hat.
Alle vor Ort in den hauseigenen Ateliers nach ihrer Bedienungsanleitung hergestellt, die von den Kunstschaffen- den übermittelt wurden – „Was aus ihr eine echt ökologisch aufgebaute Ausstellung macht“, freut sich Anna Millers –, laden die ausgestellten Werke zur Reflexion ein. Wer ist wirklich ihr Autor? Hat der Künstler wirklich von seinem Status als allmächtiger Schöpfergott abgedankt? „Das Werk ist offen. Der Künstler setzt nicht mehr seine Visi- on der Welt durch, sondern produziert Systeme, die es jedem erlauben, seine eigene zu kreieren“, unterstreicht Claude Rutault. Mit Un Coup de peinture, un coup de jeunesse (1976), zeigt der Maler eine perfekte Illustration seiner Behauptung. Das Publikum ist dazu eingeladen zu experimentieren, wie in Untitled (Revenge), einer Installation von 1991 (deren Form und Volumen sich bei jeder Aktivierung verändern) von Félix González-Torres, in der hunderte blaue Bonbons, die jedermanns Nascherei zur Verfügung stehen, den Boden bedecken. Eine Einladung dazu sich Zeit zu nehmen, über den Status und die Form des Werkes nachzudenken, ob es schon tausendfach gesehen wurde (die Streifen von 8,70 Zentimetern, Markenzeichen von Daniel Buren in Jamais deux fois la même) oder komplett unbekannt ist. Man denke an die erschütternde Bibliothèque des Silences (Bibliothek der Stille) von Marianne Mispelaëre, die sich seit 2017 entfaltet, ein entwicklungsfähiges Gedächtnis der Sprachen, die seit 1988, ihrem Geburtsjahr, verschwunden sind. Spielerischer ist x hab / m² (2013) von Claire Morel, mit mehreren hundert Seiten an Buchwidmungen, Seitenhieb auf den lateinischen Ursprung des Begriffs Protokoll, denn protocollum bezeichnet das erste Blatt eines Werkes…
Im Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg bis zum 1. Juni 2025
musees.strasbourg.eu