Milo Rau kreiert Antigone in the Amazon

Antigone in the Amazon // Photo : Moritz van Dungern

In Antigone in the Amazon schließt sich Milo Rau mit der Bewegung der Landlosen in Brasilien zusammen (MST), in einem politischen Streitgespräch zwischen ihrem Kampf, Sophokles und dem Kapitalismus.

Die Trilogie der antiken Mythen – begonnen mit Orest in Mosul in der ehemaligen Hauptstadt des islamistischen Staates und Das Neue Evangelium, in den Flüchtlingslagern in Süditalien – endet im hintersten Winkel des Bundestaates Pará, in dem der Urwald des Amazonas buchstäblich brennt, für eine Erweiterung der Soja-Monokulturen, die sichtbare Seite eines verzehrenden und zerstörerischen Kapitalismus. Milo Rau, ehemaliger Direktor des Théâtre national de Gand (NTGent) auf dem Sprung zu den prestigeträchtigen Wiener Festwochen, ist der Autor eines sehr dokumentierten Stückes, mit politischen Fragestellungen, die einen direkten Bezug zur Realität haben. Seine Inszenierungen sind geprägt von seiner Laufbahn als Soziologe und Journalist, die ihn schließlich zum experimentellen Film brachte. Das Theater kommt erst später, getragen von der Lust gegen die Geschichte, den Ethnozentrismus, die westliche Übermacht zu Kämpfen. Seine theatralisch Kunst komponiert Fiktionen der Realität ausgehend von Material, das mit Sorgfalt und Geduld gesammelt wurde.

Von einem Massaker zum anderen
Nach Aischylos und der Bibel ist es Sophokles, den er durch die Brille der Katastrophen unserer Zeit betrachtet. Seine tragische Heldin, Antigone wird eine indigene Umweltaktivistin in einem Dialog zwischen Videoprojektion und Bühnenspiel. Sie steht im Zentrum einer Rekonstruktion des Massakers von 19 Demonstranten durch die brasilianische Armee am 17. April 1996, die ein Recht auf kultivierbares Land einforderten und eine Bundestraße blockierten. Die Überlebenden, Aktivisten und Schauspieler, haben die Tat vor Ort nachgespielt, für eine ebenso ergreifende wie didaktische Sequenz im Stück, in der die Gewalt durch eine subtile Verknüpfung vom Bild auf die Bühne übergeht. Realität und Fiktion vermischen sich, die Gegenwart spielt mit Zeitsprüngen und fernen Echos zwischen dem Mythos und den aktuellen Konflikten. Im Zentrum, der Kampf von jener, die nein sagt, von Kreon verurteilt, weil sie ihren Verräter-Bruder Polyneikes bestatten will. Die Konfrontation zwischen traditioneller Weisheit und globalem Kapitalismus zeigt sich in seiner blutigen Repression, im Hochmut der Allmacht unserer Gesellschaft und unserer Unfähigkeit dem Bösen, das uns zerstört und in den Abgrund stürzt, ins Gesicht zu schauen. Der antike Chor, der aus Mitgliedern von MST besteht, erinnert an die Tragödie, die die Erde erlebt und heilt gleichzeitig die Wunden der Lebenden, indem er den Verstorbenen eine Lichtzeremonie widmet. Milo Rau driftet im Jahr 2007 mit der Kreation des International Institute of Political Murder nicht von der Linie seiner Kreationen ab: „Die künstlerischen Projekte werden geschaffen, um das zu ändern, was sie zeigen. Die intellektuelle Erneuerung wird nicht aus den sicheren Gemeinschaften kommen, in denen der autoritäre Neoliberalismus entstanden ist. Die Philosophie der neuen Ära wird aus den Wäldern kommen, den Favelas und den Vororten.“

Milo Rau: Antigone in the Amazon // Photo : Kurt van der Elst
Milo Rau: Antigone in the Amazon // Photo : Kurt van der Elst

In der Kaserne (Basel) am Freitag den 22. und Samstag den 23.
kaserne-basel.ch

Im Schauspielhaus (Zürich) vom 22. bis 25. Januar 2024
schauspielhaus.ch

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