Nature and State: Blick auf den Zustand unserer Gesellschaften
Die begeisternde Sammelausstellung Nature and State stellt auf künstlerische Weise den Zustand unserer Gesellschaften anhand der Vergangenheit infrage und denkt sich Strategien für die Zukunft aus.
Nach der Ausstellung State and Nature im Jahr 2021, die sich für die Gegenwart interessierte, entfaltet sich als Spiegelbild Nature and State, die die Vergangenheit und die Zukunft thematisiert. Um ihren Geist zu beschreiben, bringen die drei Kuratoren – das Direktorenduo Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız, sowie Christina Lehnert – die Werke zur Sprache, die die Basis des Rundgangs bilden. Das erste, The Dawn of Everything… (Pinguin Books, 2021) präsentiert A new History of Humanity. Es wurde vom Anthropologen David Graeber – Galionsfigur der Bewegung Occupy Wall Street – und dem Archäologen David Wengrow verfasst. In Anbetracht der jüngsten Ausgrabungen dekonstruieren die Autoren die dominierenden Erzählungen, die von einem gradlinigen Prozess berichten, der für die Entstehung der modernen Gesellschaften seit der Entstehung der Landwirtschaft determinierend ist. „Unser Ziel ist es die theoretische Grundlage dieses Werkes mit einem Science-Fiction-Roman aus den 1970er Jahren von Ursula K. Le Guin, Planet der Habenichtse zu verbinden“, einer anarchistischen Utopie, die sich in einem System von Doppelplaneten abspielt. Als Einladung dazu die Welt anders zu denken, beginnt die Besichtigung im Außenbereich mit O Barco/ The Boat von Grada Kilomba, der im kommenden Jahr eine monographische Ausstellung gewidmet werden wird. 140 Blöcke aus verbranntem Holz, auf die Verse eingraviert wurden, formen die Silhouette eines Schiffbodens von 32 Metern Länge, der drei Wochen lang am Ufer der Oos lag. Diese Installation drückt mit Finesse Trennung und Schmerz aus: In diesem poetischen Denkmal, das an den Sklavenhandel erinnert, wird der portugiesische Künstler zur Eröffnung der Ausstellung eine Performance darbieten, die Worte und Gesänge vermischt, um den anonymen gebrochenen Schicksalen Fleisch und Sprache zu verleihen.
Im Inneren der Kunsthalle entfalten sich ebenso ein gigantischer Tempel von Ersan Mondtag – ein faszinierender Theater-und Opernregisseur, bekannt für seine disruptiven Produktionen – der auf düstere Weise die Fundamente unserer Gesellschaften hinterfragt, wie On Losing Meaning von Muhannad Shono, der ausgewählt wurde, um Saudi-Arabien bei der Biennale von Venedig 2022 zu vertreten. Die bizarre Roboter-Skulptur bewegt sich auf dem Boden fort, zeichnet dort unendliche Linien, eine unleserliche Schrift, die den Gedanken hervorbringt, dass Worte nur Symbole sind, denen der soziale Kontext einen Sinn verleiht. Das Video von Will Fredo seinerseits behandelt die Hegemonie von Nestlé auf dem Wassermarkt in Guatemala, während die Gemälde von Olga Chernysheva sich auf die unsicheren Zonen der russischen Städte konzentrieren, in denen Obdachlose oder Raben sich ihre eigenen (Rand-)Gesellschaften erfinden… Inmitten dieser Fülle von Arbeiten mögen wir besonders Emptied words eine zarte Metapher der Entwurzelung von Silvina Der Meguerditchian, die sich auf die einzigen türkischen Worte bezieht, die die Künstlerin mit zwanzig Jahren kannte, leere Gehäuse, Signifikanten ohne Signifikate, deren Bedeutung ihr unbekannt blieb.
In der Staatlichen Kunsthalle (Baden-Baden) vom 9. Juli bis 16. Oktober
kunsthalle-baden-baden.de
> Am Eröffnungswochenende wird die Performance O Barco/The Boat von Grada Kilomba zweimal gezeigt (08.07., 19 Uhr & 09.07., 17 Uhr)