Die soziale Poesie von Georgio

Photo de Chloé Lamidey

Mit seinem Doppel-Werk Sacré – Ciel enflammé („Heilig“ – „Brennender Himmel“) schreit Georgio seine geteilte Leidenschaft für den Rap und die Literatur heraus, von La Mafia K’1 Fry bis Édouard Louis. Begegnung mit einem Sänger mit einem geschärften Gewissen.

Ciel enflammé („Brennender Himmel“) präsentiert sich wie eine Neuauflage von Sacré („Heilig“), das einige Monate vorher erschien. Wie ist dieses Doppelalbum mit 30 Titeln entstanden?
Ich habe drei Jahre lang, während der Coronakrise, daran gearbeitet. Im Lockdown habe ich mich mit den Begriffen des Heiligen und des Profanen beschäftigt, realisiert, dass ich zahlreichen Dingen in meinem Leben einen sakralen Charakter verlieh, sie mit Ritualen unterstrich, wie wenn ich in der Einsamkeit an meinem Schreibtisch schreibe. Die Stücke sind von den lexikalischen Wortfeldern der Freiheit durchzogen, von Reise, Liebe – zur Musik und meiner Familie – und Freundschaft: In meinen Augen alles heilige Dinge.

Wenn Du wüsstest wie das ist / Geld zu verdienen wenn dich die Bourgeoisie verachtet / Und deine Kumpels dich beneiden“, singen Sie auf Équilibre („Gleichgewicht“). Sie sprechen die Zwiespalte an, die die ihrigen sind…
Diese Spannungen gehören zum Status der „sozialen Überläufer“, wie man sie nennt. Es reicht Édouard Louis und Annie Ernaux zu lesen… Die Leute sind sich des Abgrundes zwischen dem populären Milieu und den Wohlhabenden nicht bewusst. Persönlich war ich schockiert über die (meist unterbewusste) Verachtung der bürgerlichen Klasse gegenüber dem einfachen Volk, dem jede kulturelle Legitimität abgesprochen wird. Der Klassenkampf ist noch lange nicht vorüber!

Ist der Rap ein Mittel um dies zu denunzieren?
Ich mache keinen politischen Rap. Ich ziehe es vor, über menschliches zu sprechen, aber es stimmt, je mehr ich lese – ich habe gerade Auf Erden sind wir kurz grandios von Ocean Vuong beendet – desto mehr realisiere ich, wie sehr die Fragen der Rasse, Kultur und sozialen Klasse mich beschäftigen..

Man stellt oft die literarischen Bezüge in ihren Texten in den Vordergrund und vergleicht Sie mit Nekfeu. Was halten Sie davon?
Ah, diese Schublade des sogenannten „literarischen Raps“ in die mich die Medien gerne stecken! Am Anfang störte mich das nicht. Bis der Essay Connexion von Kae Tempest mir die Augen öffnete: Hinter dieser Obsession versteckt sich immer noch die Frage der Klassenverachtung. Es ist eine Art und Weise der Dominierenden zu sagen: „Den kann man hören, weil er die großen Schriftsteller kennt“. So als ob ich als Rapper nur akzeptabel wäre weil ich Majakowski lese… Aber wenn ich singe „Ich schlafe mit Jay-Z und Jacques Prévert ein“ (Petit Prince, „Kleiner Prinz“) ist es im Gegenteil um auszudrücken wie vielfältig meine Einflüsse sind und herauszuschreien, dass keiner nobler als der andere ist. Albert Camus war für die Bildung meines Geistes nicht wichtiger als La Mafia K’1 Fry.

Von was nähren Sie sich momentan?
Vom letzten Album des marokkanischen Rappers Zamdane Couleur de ma peine („Farbe meines Leids“). Und Nobody’s Home („Keiner zuhause“) von Bakar, einem unglaublichen Künstler aus London!


In La Vapeur (Dijon) am Donnerstag den 31.März und in La Laiterie (Straßburg) am Freitag den 15. April
lavapeur.comartefact.org


Erschienen bei Panenka Music / Wagram Music
georgioxv3.com

Das könnte dir auch gefallen