Phallo-(de)centric manifesto: die Stadtgalerie Saarbrücken betrachtet das Werk von Anna Ehrenstein
Mit Tupamaras Technophallus betrachtet die Stadtgalerie Saarbrücken das fröhlich subversive Gemeinschaftswerk von Anna Ehrenstein.
Wie kann man wirklich zusammen leben? Das ist das Leitmotiv der Arbeit von Anna Ehrenstein. Die deutsche neunundzwanzigjährige Künstlerin albanischer Herkunft knüpft ein einzigartiges Werk zwischen Photographie, Skulptur, Video, virtueller Installation und Performance. „Jedes ihrer Projekte beruht auf dem Konzept der Zusammenarbeit. Bei ihr ist das kein leeres Wort!“, erklärt Katharina Ritter, die Künstlerische Leiterin und Kuratorin der Ausstellung. Es kommt überhaupt nicht in Frage für Ehrenstein in einem Land anzukommen und sich dort für einige Monate zu installieren um so zu tun, als könne sie die Realität der Bewohner verstehen. Eine allzu sehr koloniale Vorgehensweise! Wenn der Inhalt eines Projektes nicht gemeinsam ent-wickelt wurde, ist es keine Zusammenarbeit. Die Leserin von Ivan Illich, die Bildhauerin, will eine „gesellige Gesellschaft“ bewirken, die der Denker sich schon 1973 wünschte: Eine horizontale Koexistenz von Kulturen, die sich gegenseitig beeinflussen, ohne Hegemonie der einen über die andere.
Die Ausstellung Tupamaras Technophallus ist ein Produkt dieser inklusiven Philosophie. Gemeinsam mit dem kolumbianischen Tanzkollektiv House of Tupamaras, das anhand der Praxis des Vogueing für die Rechte der LGBTQIA+ kämpft, amüsiert sich Anna Ehrenstein damit, das traditionelle Bild der Wissenschaft und ihrer angeblich universellen biologischen Normen zu stören, indem sie es aus nicht-westlicher, sondern queer und feministischen Sicht zeigt. „Sie hat keine Angst davor heiße Themen auf sehr kritische Weise zu behandeln und sich dabei gleichzeitig auf ironische Weise ihre Werkzeuge anzueignen, um ein wildes, surrealistisches Werk zu kreieren. Deshalb passt ihre Arbeit perfekt zu der Vorstellung, die wir von der Stadtgalerie als Ort der kritischen Zuversicht haben“, unterstreicht Ritter. Den Höhepunkt des Rundgangs bildet eine 360°-Video-VR-Assemblage, die halluzinatorische Pop-Ikonographie, laszive Tänze, Auszüge aus wissenschaftlichen Diskursen und Interviews mit politischem Inhalt mischt. Man denkt an Ein Manifest für Cyborgs von Donna Haraway… eine fröhlich chaotische, aber nicht weniger subversive Version!
Hinter der Fassade des Staates
Ein faszinierendes Eintauchen in die ordinären Kulissen der Macht: Der Apparat (ebenfalls in der Stadtgalerie bis 15.05.) ist eine Art Ethnographie der bürokratischen Arbeit. Fern der Scheinwerfer der Fernsehnachrichten und der hochtrabenden Ministerkonferenzen ist der Photograph Lukas Ratius in die Büros, Flure und Kantinen der Politiker und Funktionäre des Saarlandes eingedrungen. Zwischen Schmuck in einer Plastikbox an der Sicherheitsschleuse, zurückgelassenen Spielkarten auf einem Tisch und einer Zahnbürste auf einem Waschbecken in den Toilette, hebt er den Vorhang des Alltags von jenen, die den Staatsapparat formen und lenken.
In der Stadtgalerie (Saarbrücken) bis zum 15. Mai
stadtgalerie.saarbruecken.de
annaehrenstein.com