Göttliche Idyllen: Jean-Jacques Henner im Musée des Beaux-Arts de Strasbourg

Femme au divan noir ou Femme couchée, 1869, Mulhouse, Musée des Beaux-Arts © L. Weigel

Unter dem Titel Der Leib und das Ideal widmet das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg Jean-Jacques Henner eine großartige Retrospektive.

Jean-Jacques Henner (1829-1905) ist eine atypische Figur des 19. Jahrhunderts. In Bernwiller geboren verließ er das Elsass nach der Annexion durch das Deutsche Reich und wählte 1871 die französische Nationalität. Der Künstler erfuhr im Hexagon einen durchschlagenden Erfolg, wurde mehrfach geehrt und hatte mehrere offizielle Funktionen inne. Er blieb nicht weniger ein Einzelgänger, der außerhalb des etablierten Kanons wirkte. Céline Marcle, eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung fasst diese Besonderheit perfekt zusammen: „Es ist sehr schwierig seinen Stil zu definieren. Er ist nicht mehr Impressionist als Symbolist. Für mich ist Henner vor allem ein Poet. Nicht umsonst hatte ihn der Kritiker Albert Aurier 1890 den „Isolierten“ zugeordnet. Die Tatsache, dass er nicht in eine Schublade gesteckt werden konnte hat seiner Wahrnehmung durch die Nachwelt vielleicht geschadet“, fasst sie zusammen. Diese breite Retrospektive mit rund 90 Gemälden und vierzig graphischen Werken, die chronologisch aufgebaut ist, ehrt ihn auf prächtige Weise.

L’Alsace. Elle attend, 1871. Paris, Musée national Jean-Jacques Henner © RMN-GP F. Raux

Genreszenen und Kopien aus den Lehrjahren (insbesondere im Atelier von Michel Martin Drölling) gehen einem lichtgefluteten Saal voraus, der Italien gewidmet ist, wo er zwischen 1859 und 1856 wohnte, nachdem er den Prix de Rome erhalten hatte. Nach einem Fokus auf Die keusche Susanna (1864) – erhabene Badende, die Théophile Gautier verzauberte, bei welcher bei ihm die letzten Lichter des Akademismus brennen – , tritt der Besucher in den Kern der Sache ein. Die Wände sind von Gemälden bevölkert, auf denen die Prägungen der alten Meister – insbesondere die Trilogie Tizian, Corregio, Caravaggio – spürbar ist. Nach seinem Aufenthalt in der Villa Médicis greift er oft auf das Sfumato und Chiaroscuro zurück. Der Kontrast zwischen der fast durchsichtigen Blässe der Leiber und Hintergründen, die in Dunkelheit getaucht sind, charakterisiert die berühmten Szenen in denen junge rothaarige Frauen in Kompositionen mit dunstiger Ästhetik wie bei Die lesende Frau (1883) oder Solitude (1886) gemalt sind. Diese idyllischen Aktbildnisse machen ihn berühmt… ebenso wie seine Portraits, ein Genre für welches der Künstler sehr gefragt ist. Es bleibt nur noch, dass Jean-Jacques Henner ein Rätsel bleibt, er von dem zwei Werke zu absoluten Ikonen geworden sind: Fabiola (1885) an erster Stelle, die in der Ausstellung thematisiert wird. Das verloren gegangene Gemälde wurde in Form von Lithographien, Stickereien, Emaille-Arbeiten, Collagen dekliniert… Und an zweiter Stelle Das Elsass wartet (1871), dem ein ganzer Saal gewidmet ist: Mehr als ein Portrait ist die Frau, die er malt, eine absolute Verkörperung einer Region, die ihrem Vaterland entrissen wurde. Wir stehen einer jungen Frau in Trauer gegenüber, mit einer blauweißroten Kokarde an der Trachtenhaube, einfach und würdevoll. Mit aufwühlendem Blick. In Le Siècle schrieb der Kritiker Jules Castagnary: „Es ist nicht nur die Seele eines Künstlers, die wir vor uns haben, es ist die Seele eines ganzen Landes, die Seele des Elsasses.“


Im Musée des Beaux-Arts (Straßburg), vom 8. Oktober bis 24. Januar 2022
musees.strasbourg.eu

► Zwei Ausstellungen werden parallel präsentiert: Jean-Jacques Henner, Zeichner im Musée des Beaux-Arts de Mulhouse (09.10.21-30.01.22) und Elsass. Die verlorene Provinz träumen. 1871-1914, im Musée national Jean-Jacques Henner (Paris), in Zusammenarbeit mit dem Musée alsacien de Strasbourg (06.10.21-07.02.22)
beaux-arts.musees-mulhouse.fr
musee-henner.fr 

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