Dossier Karlsruhe: Zeit aller Möglichkeiten

57_3 Fastnacht Cabaret : © Generallandesarchiv Karlsruhe

Zwischen den Goldenen Zwanzigern und aufkommenden Krisen blickt das Stadtmuseum zurück auf Karlsruhe zur Zeit der Weimarer Republik.

Ein Wind der Revolte bläst über das Ende des Ersten Weltkrieges. Das russische Beispiel von 1917 treibt die Spartakisten dazu an das Deutsche Kaiserreich zu erschüttern. Diese fehlgeschlagene Revolution, die zur Weimarer Republik führt, eröffnet einem Land, das durch vier Jahre des verlorenen Konflikts zutiefst angeschlagenen ist, neue Perspektiven. Das Stadtmuseum Karlsruhe taucht in die Schatzkammer seiner Archive ein, um diese Epoche aller Möglichkeiten zu erkunden. Zwischen weiblicher Emanzipation, ideologischen Kämpfen, Entfaltung der Idee der Hygiene und paternalistischen Fabriken bietet Charleston und Gleichschritt einen Überblick über die Vitalität, die die Stadt in den fünfzehn Jahren der Weimarer Republik (1918- 1933) ergriff.

Nach dem Gemetzel der Schützengräben ist nun die Zeit des Fortschritts gekommen: Auf unglaublichen Schwarz-Weiß-Photographien wachsen Wohnkomplexe in großer Geschwindigkeit empor, inspiriert vom Bauhaus eines Gropius. Zeichner und Karikaturisten sind noch Könige. So liest man die politischen Wallungen von wunderschönen Plakaten ab, die die Propaganda der NSDAP1 und der KPD2 gegenüberstellen. Zwischen zunehmendem Antisemitismus und Slogans für das Frauenwahlrecht, führte der gescheiterte Kapp-Putsch, ein Versuch des Staatstreiches der Konservativen gegen die Republik im Jahr 1920, zu riesigen Demonstrationen. Die Opposition in Karlsruhe war heftig, insbesondere bei einem Kampf um das Rathaus, der in Unruhen umschlug. Die gesellschaftliche Dokumentation ist noch reichhaltiger. Man sieht die Marotten von damals, die aufkommenden Moden, leichte Kleider mit modernen Schnitten und Bubiköpfe. Die Frauen emanzipieren sich im Tanzlokal und im Alltag und sind gleichzeitig die ersten Opfer jeder Krise, die zu den Aufgaben des Haushalts zurückgeschickt werden. Die Werbung rühmt bereits den Fortschritt mit den ersten Staubsaugern. Zu dieser Zeit entsteht der Achtstundentag, der es erlaubt in der Freizeit Sport zu treiben, indem man im See schwimmt oder Fußballspielen beizuwohnen, bei denen alle Köpfe elegante Mützen und Hüte tragen. Die Arbeiter und Eisenbahner aus der Südstadt, deren Gesichter von den Hitzequellen ihrer Arbeitsstätten gerötet sind, feiern ihren Spitznamen Indianer, indem sie sich einmal im Jahr mit Häuten und Federn schmücken. Die Inneneinrichtung modernisiert sich, vom Holzofen der Arbeiter zum Elektrischen, in einer Suche nach Rationalisierung und Hygienismus, von der eine Modell- Küche zeugt. Die Welt der Kultur war von den Unruhen nicht ausgenommen, hin-und hergerissen zwischen Kabarett und Volksbühne, von der Zensur amputierten Filmen, dadaistischer Avantgarde und dem glühenden Konservatismus von Hans Adolf Bühler, dem Direktor der Kunsthochschule, der schon 1931 in die NSDAP eintrat. Es braucht das Talent eines Georg Scholz oder eines Karl Hubbuch um die finanzielle Gier und das Elend zu skizzieren, das erdrückende Gewicht der Kirche und der bürgerlichen Werte anzuprangern.


Im Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais (Karlsruhe), bis zum 29. Dezember
karlsruhe.de

1 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die Hitler an die Macht brachte
2 Kommunistische Partei Deutschlands

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